Rotkäppchens Rache
der Elfenkirche gegenüber in den Haaren gelegen? »Sie hat mir das Leben gerettet, Mutter. Du hast meinen Körper geheilt, aber sie war es, die mir geholfen hat, wieder zu mir selbst zu finden.«
»Indem sie eine Kriminelle aus dir gemacht hat!«, brauste Mutter Khardija auf. »Streiche in der Küche sind eine Sache, aber Faziya und ihre Rebellen hätten dich fast das Leben gekostet!«
»Ich war doch schon tot«, erwiderte Talia. »Diese Leute gaben mir einen Grund zu leben.«
»Das hat mir Faziya auch jedes Mal erklärt, wenn sie dich zu mir zurückgebracht hat«, sagte Khardija. »Jedes Mal, wenn ich deine Wunden verbinden und deine Knochen richten musste. Was für einen Grund? Eines der Lagerhäuser der Raikh niederzubrennen? Eine königliche Karawane auszurauben? Du bist eine Prinzessin Aratheas, aber du benahmst dich wie die Duodezadligen, die sich die letzten hundert Jahre zähnefletschend um die Knochen unseres Landes gebalgt haben, indem du wütend um dich schlugst mit keinem hehreren Ziel als der Zerstörung, bis diese Wut drohte, dich zu verzehren!«
»Diese Menschen waren für mich das, was einer Familie am nächsten kam!«, verwahrte sich Talia.
Mutter Khardija führte eine Hand zum Hals und massierte die Gefäßdruckpunkte auf beiden Seiten. »Sie waren Diebe und Mörder.«
»Wir kämpften gegen Lakhim -«
»Eure kleinen Verbrechen waren nicht mehr als ein Flohbiss. Weißt du, wieso Königin Lakhim dich fürchtet? Es ist mehr als dein Fluch, mehr als ihr Bedürfnis, den Tod ihrer Söhne zu rächen. Sie fürchtet deine Macht.« Selten hatte Talia in Mutter Khardijas Stimme eine solche Eindringlichkeit gehört. Diesen Ton benutzte sie nur dann, wenn sie darum kämpfte, ein Leben zu retten. »Sie hat Angst vor dem, was geschehen wird, wenn Dornröschen nach Arathea zurückkehrt. Ihre Familie hat erst eine Hand voll Jahre geherrscht - deine drei Jahrhunderte lang. Die Menschen würden dir in Scharen zulaufen, Talia. Sie würden dir folgen.«
Talia schluckte. »Ich bin nicht hierhergekommen, um mir den Thron zurückzuholen, Khardija. Königin Lakhim ist nicht die Bedrohung - Zestan und die Wilde Jagd sind es.«
Schreie und Hufschläge von der Straße unterbrachen sie. Ohne nachzudenken, zog Talia das Messer, aber der Reiter donnerte schon am Tempel vorbei.
»Faziya war derselben Auffassung wie du, nämlich dass Zestan und die Jagd die größere Gefahr sind.«
»Deshalb ist sie auch gegangen, nicht wahr?« Faziya war keine Kriegerin, aber sie war schlau. »Sie ging zur Kirche, stimmt’s? Um sie um ihre Hilfe zu bitten, sie und ihr Volk vor der Jagd zu beschützen.« Niemand wusste mehr über Elfengeschichte als die Priester der Kirche.
Mutter Khardija seufzte. »Möglicherweise habe ich mich geirrt, als ich versuchte, Faziya davon abzuhalten, dir zu helfen.«
Sowohl dieses unerwartete Eingeständnis als auch der Themenwechsel brachten Talia aus der Fassung. »Ich verstehe nicht?«
»Noch während ich mich um die Wunden deines Körpers kümmerte, konnte ich sehen, wie deine Seele stärker wurde.« Sie kniete sich hin und fing an, die Ruquqblumen zu schneiden. »Ich machte mir Sorgen, welche Auswirkungen die Gesellschaft von Kriminellen auf dich haben würde. Wenn ich dich jetzt betrachte, die Frau sehe, die aus dir geworden ist, dann muss ich zugeben, dass Faziya deine Bedürfnisse vielleicht besser gekannt hat als ich.«
Talia bückte sich, um ihr zu helfen, die runden Blüten auf einem Haufen aufzuschichten. »Was ist ihr zugestoßen, Mutter?«
»Als Schwester Faziya nicht zurückkam, ging ich selbst zur Kirche. Vater Uf’uyan war nicht anwesend, aber Vater Yasar erzählte mir, dass Schwester Faziya gekommen war, um sie zu sprechen. Er sagte, Faziya sei aufgebracht gewesen und höchstwahrscheinlich in die Wüste zurückgegangen.«
Talia schüttelte den Kopf. »Sie hätte den Tempel nicht verlassen, ohne vorher mit dir zu sprechen.«
»Ich bin der gleichen Meinung.« Sie berührte Talias Wange mit einer erdverschmierten Hand. »Ich kenne dich, Kind. In diesem Augenblick denkst du daran, die Türen der Kirche einzuschlagen und die Wahrheit aus den Priestern herauszuprügeln.«
Talia erhob sich bereits. »Etwas in der Art, ja.«
»Du kannst Faziya möglicherweise nicht mehr helfen.«
Die Worte waren wie ein Schwert, das ihr durch die Brust gestoßen wurde. »Wenn das der Fall ist, dann werden die Priester zu ihrem Schutz mehr als nur Gebete nötig haben.«
*
Im Lagerraum des Tempels ging
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