Rotkehlchen
festhielt.
»Das ist eine Gluck-Pistole, die sicherste Handfeuerwaffe der Welt. Die habe ich gestern aus Deutschland bekommen. Die Fabrikationsnummer ist weggefeilt worden. Auf der Straße zahlt man dafür rund achttausend Kronen. Betrachte sie als erste Rate.«
Sverre zuckte zusammen, als es knallte. Er starrte mit aufgerissenen Augen auf das kleine Loch oben in der Tür. Der Staub tanzte in dem Sonnenlicht, das wie ein Laserstrahl durch das Loch ins Zimmer fiel.
»Nimm sie mal in die Hand«, sagte der Prinz und ließ ihm die Pistole in den Schoß fallen. Dann stand er auf und ging zur Tür. »Halt sie gut fest. Perfekt ausbalanciert, nicht wahr?«
Willenlos legte Sverre seine Finger um den Griff der Waffe. Er spürte den Schweiß unter seinem T-Shirt. Im Dach ist ein Loch. Nur daran konnte er denken. Dass die Kugel noch ein Loch gemacht hatte und dass sie noch immer keinen Dachdecker hier gehabt hatten. Dann kam das, worauf er gewartet hatte. Er schloss die Augen.
»Sverre!«
Sie hörte sich an, als würde sie ertrinken. Er umklammerte die Pistole. Sie hörte sich immer so an, als würde sie ertrinken. Dann öffnete er wieder die Augen und sah, wie sich der Prinz langsam wie in Zeitlupe vor der Tür umdrehte und seine Arme nach oben schwangen. In den Händen hielt er eine blanke schwarze Smith & Wesson.
»Sverre!«
Eine gelbe Stichflamme schoss aus der Mündung. Er sah, wie sie unten auf der Treppe stand. Dann traf ihn die Kugel, drang durch seine Stirn, schoss durch den Hinterkopf wieder hinaus, riss die Sieg-Heil-Tätowierung mit, schlug durch die Holzvertäfelung und das Isoliermaterial, ehe sie in der Rückseite der Eternitplatten an der Außenwand des Hauses stecken blieb. Doch da war Sverre Olsen bereits tot.
Krokliveien, 2. Mai 2000
64 Harry hatte sich von einem Beamten der Spurensicherung einen Becher Kaffee geschnorrt. Jetzt stand er auf der Straße vor dem kleinen hässlichen Haus im Krokliveien im Stadtteil Bjerke und beobachtete einen jungen Beamten, der auf einer Leiter an der Hauswand stand, um das Loch im Dach anzuzeigen, das die Kugel gerissen hatte. Schaulustige standen bereits herum. Zur Sicherheit hatte man die gelben Absperrbänder um das ganze Haus herum gezogen. Der Mann auf der Leiter badete in der Nachmittagssonne, doch das Haus lag in einer Geländesenke und dort, wo Harry stand, war es bereits kalt geworden.
»Und als du gekommen bist, war das gerade erst geschehen?«, hörte Harry eine Stimme hinter sich. Er drehte sich um. Es war Bjarne Møller. Er tauchte immer seltener an den Tatorten auf, doch Harry hatte von einigen gehört, dass Møller ein guter Ermittler gewesen sei. Manch einer hatte auch angedeutet, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn man ihm diesen Job gelassen hätte. Harry streckte ihm fragend seinen Kaffeebecher entgegen, doch Møller schüttelte den Kopf.
»Ja, ich war wohl so vier, fünf Minuten später hier«, sagte Harry. »Woher weißt du das?«
»Von der Alarmzentrale. Sie sagten, du hättest angerufen und um Verstärkung gebeten, als Waaler gerade erst die Schießerei gemeldet hatte.«
Harry nickte in Richtung des roten Sportwagens, der vor dem Tor parkte.
»Als ich herkam, sah ich Waalers Japaner. Ich wusste, dass er hierher gefahren war. Das war also in Ordnung. Doch als ich aus meinem Wagen stieg, hörte ich ein seltsames Heulen. Zuerst dachte ich, das sei irgendein Hund in der Nachbarschaft, aber als ich über den Kiesweg ging, erkannte ich, dass das Heulen aus dem Haus kam und dass es kein Hund, sondern ein Mensch sein musste. Ich wollte kein Risiko eingehen und hab gleich die Polizei in Okern alarmiert.«
»Es war die Mutter?«
Harry nickte. »Sie war vollkommen hysterisch. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie sie so weit beruhigt hatten, dass sie wiedervernünftig reden konnte. Weber sitzt drinnen in der Stube und redet mit ihr.«
»Der alte, sensible Weber?«
»Weber ist in Ordnung. Auf der Arbeit ist er ein Griesgram, doch in solchen Situationen versteht er es wirklich, mit den Menschen umzugehen.«
»Ich weiß, ich mach nur Witze. Wie kommt Waaler damit zurecht?«
Harry zuckte mit den Schultern.
»Ich verstehe«, sagte Møller. »Das ist ein kalter Fisch. Ist aber gut so. Sollen wir reingehen und uns die Sache mal ansehen?«
»Ich war schon drinnen.«
»Gut, dann mach eine Führung für mich.«
Sie bahnten sich einen Weg in die zweite Etage, während Møller zahlreiche Kollegen grüßte, die er lange nicht
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