Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
Harry.
    »Meirik hat mich für einen Spionageauftrag nach Schweden beordert«, verkündete er und fingerte an seinem Wasserglas herum. »Sechs Monate. Ich soll am Wochenende aufbrechen.«
    »Oh.«
    Er war überrascht, keine Reaktion in ihrem Gesicht erkennen zu können.
    »Ich hab heute schon See und meinen Vater angerufen und ihnen Bescheid gesagt«, fuhr er fort. »Mein Vater hat geredet. Er hat mir sogar Glück gewünscht.«
    »Das ist schön.« Sie lächelte kurz und hatte es eilig, die Dessertkarte zu studieren.
    »Oleg wird dich vermissen«, sagte sie leise.
    Er sah sie an, konnte ihren Blick aber nicht einfangen.
    »Und du?«, fragte er.
    »Hier gibt es Bananensplit à la Szechuan«, sagte sie.
    »Bestell gleich zwei.«
    »Ich werde dich auch vermissen«, murmelte sie und ließ ihren Blick auf die nächste Seite schweifen.
    »Wie sehr denn?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    Er wiederholte die Frage. Und sah, dass sie Luft holte, etwas sagen wollte, dann jedoch wieder ausatmete und aufs Neue Luft holte. Schließlich kam es.
    »Tut mir Leid, Harry, aber zurzeit ist in meinem Leben nur Platz für einen Mann. Einen kleinen Mann im Alter von sechs Jahren.« Es fühlte sich an wie ein Eimer Eiswasser auf dem Kopf. »Los«, sagte Harry. »Ich kann mich doch nicht so täuschen.« Sie sah mit fragendem Blick von der Speisekarte auf.
    »Du und ich«, sagte Harry und beugte sich über den Tisch. »Hier heute Abend. Wir flirten miteinander. Wir haben Spaß. Aber wir wollen doch mehr als das. Du willst mehr als das.«
    »Vielleicht.«
    »Nicht vielleicht. Ganz sicher. Du willst alles.«
    »Und dann?«
    » Und dann? Du musst mir sagen, was dann kommt, Rakel. Ich fahre in ein paar Tagen in ein Nest nach Südschweden. Ich bin kein verwöhnter Mann, ich will nur wissen, ob es etwas gibt, zu dem ich im Herbst zurückkehren kann.«
    Ihre Augen begegneten sich, und dieses Mal gelang es ihm, ihren Blick festzuhalten. Lange. Schließlich legte sie die Speisekarte beiseite.
    »Tut mir Leid. Ich wollte das nicht so. Ich weiß, dass sich das merkwürdig anhört, aber … die Alternative geht nicht.«
    »Welche Alternative?«
    »Zu tun, wozu ich Lust habe. Dich mit nach Hause zu nehmen, dich auszuziehen und die ganze Nacht zu lieben.«
    Sie flüsterte das Letzte leise und schnell. Als sei es etwas, was sie erst ganz am Schluss sagen wollte, was sie dann aber genau so sagen musste: nackt und direkt.
    »Und wie sieht’s mit einer anderen Nacht aus?«, fragte Harry. »Oder mehreren Nächten? Wie wäre es mit morgen Nacht und der Nacht danach und nächster Woche und …«
    »Hör auf!« Sie hatte eine ärgerliche Falte über der Nasenwurzel. »Versteh mich doch, Harry. Es geht nicht.«
    »Na dann.« Harry wippte eine Zigarette aus seinem Päckchen und zündete sie an. Er ließ es zu, dass ihre Hand ihm über Wangen und Mund streichelte. Die vorsichtige Berührung rann wie ein Stoß durch seine Nervenbahnen und ließ einen stummen Schmerz zurück.
    »Es hat nichts mit dir zu tun, Harry. Ich dachte eine Zeit lang, dass ich es irgendwann einmal tun könnte. Ich bin alle Argumente durchgegangen. Zwei erwachsene Menschen. Keine anderen Beteiligten. Unverbindlich und einfach. Und ein Mann, auf den ich so viel Lust habe wie seit … Olegs Vater nicht mehr. Deshalb weiß ich, dass es nicht bei diesem einen Mal bleiben würde. Und das … das geht nicht.«
    Sie hielt inne.
    »Hat es etwas damit zu tun, dass Olegs Vater Alkoholiker war?«, fragte Harry.
    »Warum fragst du danach?«
    »Ich weiß nicht. Das könnte erklären, warum du dich nicht mit mir einlassen willst. Nicht dass man erst mit einem Alkoholiker zusammengewesen sein muss, um zu kapieren, dass ich eine schlechte Partie bin, aber …«
    Sie legte ihre Hand auf seine Lippen.
    »Du bist keine schlechte Partie, Harry. Das ist es nicht.« »Was dann?«
    »Es ist das letzte Mal. Das ist es. Wir werden uns nicht mehr wiedersehen.«
    Sie sah ihn lange an. Und er erkannte es jetzt: Was in ihren Augenwinkeln blinkte, das waren keine Tränen des Lachens.
    »Und der Rest der Geschichte?«, fragte er und versuchte zu lächeln. »Ist das wie alles im PÜD an a need-to-know-basis?« Sie nickte.
    Der Kellner kam zu ihrem Tisch herüber, musste aber begriffen haben, dass er ein schlechtes Timing hatte, und verschwand wieder.
    Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen. Harry sah, dass sie den Tränen nahe war. Sie biss sich auf die Unterlippe. Dann legte sie die Serviette vor sich auf den Tisch, schob

Weitere Kostenlose Bücher