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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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gesehen.
    »Ich konnte die zerfetzte Wirbelsäule sehen«, hatte er Harry berichtet. »Ich konnte das wirklich sehen.«
    Dann hatte er Harry erzählt, dass er sich mit einer Hand an der Felswand abgestützt und sich erbrochen habe und dass er erst später, als die Polizei gekommen war und die Frau vom Scheinwerfer heruntergenommen hatte, so dass wieder Licht an die Wand fiel, begriffen habe, was das Klebrige an seiner Hand war. Er hatte Harry seine Hand gezeigt, als ob das wichtig wäre.
    Die Spurensicherung war gekommen, und Weber war zu Harry hinübergegangen, während er Signe Juul mit schlaftrunkenen Augen betrachtet und gesagt hatte, dass hier verdammt noch mal nicht Gott der Richter gewesen sei, sondern der Kerl in der Etage darunter.
    Der einzige Zeuge war ein Wachmann, der eines der Lagerhäuser überprüft hatte. Er hatte ein Auto gesehen, das um Viertel vor drei in Richtung Osten über die Akershusstranda gefahren war. Doch weil es ihn mit Fernlicht geblendet hatte, hatte er weder Farbe noch Typ erkennen können.
    Es fühlte sich so an, als gebe der Pilot Gas. Harry stellte sich vor, dass sie versuchten, Höhe zu gewinnen, weil der Pilot gerade die Alpen vor dem Cockpit entdeckt hatte. Dann schien die Tyrolean Air jegliche Luft unter den Tragflächen verloren zu haben, und Harry spürte, wie sich sein Magen hob. Er stöhnte unfreiwillig, als sie schon im nächsten Augenblick wieder wie ein Gummiball nach oben geschleudert wurden. Der Pilot meldete sich über den Lautsprecher und sagte etwas auf Deutsch und Englisch über Turbulenzen.
    Aune hatte gesagt, dass ein Mensch, dem die Fähigkeit, Angst zu empfinden, fehlt, vermutlich nicht einen Tag überleben würde. Harry umklammerte seine Armlehne und versuchte sich mit diesem Gedanken zu trösten.
    Es war übrigens Aune gewesen, der Harry indirekt dazu verleitet hatte, sich ins erste Flugzeug nach Wien zu setzen. Als er alle Fakten auf dem Tisch hatte, hatte er sofort gesagt, der Zeitfaktor sei von größter Bedeutung.
    »Wenn das ein Serienmörder ist, beginnt er, die Kontrolle zu verlieren«, hatte Aune gemeint. »Nicht wie der klassische Serienmörder mit sexuellen Motiven, der auf der Suche nach Befriedigung ist, aber jedes Mal gleich enttäuscht ist und die Frequenz aus reiner Frustration erhöht. Dieser Mörder hat eindeutig keine sexuellen Motive; erhat irgendeinen kranken Plan, den er ausführen muss, und bis jetzt ist er vorsichtig und rational vorgegangen. Dass die Morde so schnell hintereinander kommen und dass er ein derart hohes Risiko eingeht, um das Symbolische in seiner Handlung zu unterstreichen – wie diese Hinrichtung an der Festung Akershus –, deutet darauf hin, dass er sich entweder unüberwindlich vorkommt oder dass er im Begriff ist, die Kontrolle zu verlieren und vielleicht in eine Psychose abzudriften.«
    »Vielleicht hat er aber auch noch alles unter Kontrolle«, hatte Halvorsen zu bedenken gegeben. »Er hat keine Fehler gemacht. Wir stehen ohne jede Spur da.«
    Und damit hatte Halvorsen verflucht Recht. Keine Spur.
    Mosken hatte alles erklären können. Er war in Drammen ans Telefon gegangen, als Halvorsen dort versuchsweise am Morgen angerufen hatte, nachdem er in Oslo nirgendwo gesichtet worden war. Sie konnten natürlich nicht wissen, ob es stimmte, was er sagte, dass er nämlich nach Betriebsschluss in Bjerke um halb elf direkt nach Drammen gefahren wäre, wo er um halb zwölf angekommen sei. Oder ob er erst um halb vier in der Nacht dort eingetroffen war und somit Signe Juul erschossen haben konnte.
    Harry hatte Halvorsen darum gebeten, die Nachbarn anzurufen und sie zu fragen, ob sie gesehen oder gehört hätten, wann Mosken nach Hause gekommen sei; aber er machte sich keine großen Hoffnungen. Und er hatte Møller gebeten, mit dem Staatsanwalt über einen Durchsuchungsbefehl für beide Wohnungen von Mosken zu sprechen. Harry wusste, dass ihre Argumente nur schwach waren, und folglich hatte der Staatsanwalt geantwortet, dass er wenigstens den Ansatz eines Indizes brauchte, ehe er einwilligen konnte.
    Keine Spur. Es war zum Verrücktwerden.
    Harry schloss die Augen. Sofort sah er Even Juuls Gesicht vor sich, grau, verschlossen. Er hatte zusammengesunken im Sessel im Irisvei gesessen, das Hundehalsband in der Hand.
    Dann setzten die Räder auf dem Asphalt auf, und Harry konstatierte, dass er wieder einmal zu den dreißig Millionen Glücklichen gehörte.
     
    Der Polizist, den der Wiener Polizeichef bereitwillig für Harry als

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