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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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könnten. Außerdem sind die neuen Massengräber nachts offen und unbewacht. Jemand muss Daniel dort heute Nacht geholt haben.«
    »Verdammt«, wiederholte Dale, nahm die Zigarette und sog den Rauch tief ein.
    »Dann stimmt es also, dass sie die Leichen verbrennen?«, fragte Gudbrand. »Warum, bei dieser Kälte?«
    »Das kann ich dir sagen«, brummte Dale. »Wegen dem Eis. Die Temperaturschwankungen führen dazu, dass die Leichen im Frühjahr nach oben an die Oberfläche gepresst werden.« Widerwillig gab er die Zigarette weiter. »Wir haben Vorpenes im letzten Winter unmittelbar hinter unseren Stellungen begraben und im Frühjahr sind wir dann wieder über ihn gestolpert. Das heißt, über das, was die Füchse übrig gelassen hatten.«
    »Die Frage ist«, sagte Edvard, »wie ist Daniel hier gelandet?« Gudbrand zuckte mit den Schultern.
    »Du hattest die letzte Wache, Gudbrand.« Edvard hatte wieder ein Auge zugekniffen und starrte ihn an. Gudbrand ließ sich viel Zeit mit der Zigarette. Dale räusperte sich.
    »Ich bin hier viermal vorbeigegangen«, versicherte Gudbrand und gab die Zigarette weiter. »Da war er nicht hier.«
    »Du hättest es während deiner Wache bis hinauf zum nördlichen Sektor schaffen können. Und hier drüben im Schnee sind Schlittenspuren.«
    »Die können von den Leichenträgern stammen«, entgegnete Gudbrand.
    »Die Spuren führen über die letzten Stiefelabdrücke. Und du sagst, du wärst hier viermal vorbeigegangen.«
    »Verflucht, Edvard, ich sehe doch auch, dass Daniel da liegt!«, platzte Gudbrand hervor. »Natürlich hat ihn jemand hierher transportiert,und das höchstwahrscheinlich auf einem Schlitten. Aber wenn du mir eben zugehört hast, muss dir doch klar werden, dass dieser Mensch gekommen sein muss, nachdem ich das letzte Mal hier war.«
    Edvard antwortete nicht, sondern zog Dale verärgert den letzten Rest der Kippe aus den geschürzten Lippen und betrachtete missbilligend die nassen Stellen auf dem Zigarettenpapier. Dale spuckte eine Tabakfaser aus und schielte zu ihm hinüber.
    »Warum, in Gottes Namen, sollte ich auf so eine Idee kommen?«, fragte Gudbrand. »Und wie sollte ich es schaffen, eine Leiche aus dem Nordsektor mit einem Schlitten hierher zu schleppen, ohne von anderen Kundschaftern gestoppt zu werden?«
    »Du hättest durch das Niemandsland gehen können.«
    Gudbrand schüttelte ungläubig den Kopf. »Hältst du mich für vollkommen verrückt, Edvard? Was soll ich denn mit Daniels Leiche?«
    Edvard nahm die letzten zwei Züge von der Zigarette, spuckte die Kippe in den Schnee und drückte sie mit dem Stiefel aus. Das machte er immer, auch wenn er nicht wusste, warum; er mochte den Anblick vor sich hin qualmender Kippen einfach nicht. Der Schnee knirschte, als er seinen Stiefelabsatz hin und her drehte.
    »Nein, ich glaube nicht, dass du Daniel hierher geschleppt hast«, sagte Edvard. »Denn ich glaube nicht, dass das Daniel ist.«
    Dale und Gudbrand traten verwundert einen Schritt zurück. »Natürlich ist das Daniel«, widersprach Gudbrand.
    »Oder jemand mit dem gleichen Körperbau«, sagte Edvard. »Und mit der gleichen Kompaniekennung auf der Uniform.«
    »Aber der Sack«, stotterte Dale.
    »Kannst du diese Brennholzsäcke voneinander unterscheiden?«, fragte Edvard höhnisch, sah dabei aber Gudbrand an.
    »Das ist Daniel«, beharrte Gudbrand und schluckte. »Ich erkenne seine Stiefel wieder.«
    »Du meinst also, wir sollten einfach die Leichenträger anrufen und sie bitten, ihn wieder wegzuschaffen?«, fragte Edvard. »Ohne genauer nachzusehen? Damit hattest du wohl gerechnet, nicht wahr?«
    »Zum Teufel mit dir, Edvard.«
    »Ich bin mir nicht so sicher, ob der es diesmal wirklich auf mich abgesehen hat, Gudbrand. Nimm ihm den Sack ab, Dale!«
    Dale starrte verwirrt auf die beiden Männer, die sich wie zwei kampfbereite Stiere fixierten.
    »Hast du nicht gehört?«, rief Edvard. »Schneid den Sack herunter!« »Ich möchte lieber nicht …«
    »Das ist ein Befehl!«
    Dale zögerte noch immer, sah vom einen zum anderen und dann zu der steifen Gestalt auf den Munitionskisten. Dann zuckte er mit den Schultern, knöpfte seine Tarnjacke auf und schob die Hand hinein.
    »Warte!«, sagte Edvard. »Frag doch, ob du dir Gudbrands Bajonett leihen kannst.«
    Jetzt sah Dale wirklich verwirrt aus. Er blickte Gudbrand fragend an, der aber den Kopf schüttelte.
    »Was soll das heißen?«, fragte Edvard, der noch immer vor Gudbrand stand. »Es gibt den Befehl, das Bajonett

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