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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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vier Männer standen, lag zwei Kilometer nördlich ihres eigenen Frontabschnitts. Er verlief in einem rückwärts gewandten Bogen und beschrieb beinahe eine Schlaufe. Der Mann in der Offiziersuniform stand vor Gudbrand und trampelte mit den Beinen. Es schneite und oben auf seine Uniformmütze hatte sich eine dünne Schicht Schnee gelegt. Edvard Mosken stand neben dem Offizier und starrte Gudbrand an. Das eine Auge hatte er weit aufgerissen, das andere halb zusammengekniffen.
    »So«, schnarrte der Offizier, »er hat sich also zu den Russen abgesetzt?«
    »Ja«, wiederholte Gudbrand.
    »Warum?«
    »Das weiß ich nicht.«
    Der Offizier starrte vor sich hin und sog an seinen Zähnen. Daraufhin nickte er Edvard zu und murmelte ein paar Worte zu seinem Rottenführer, dem deutschen Unteroffizier, der mit ihm gekommen war. Dann grüßten sie. Der Schnee knirschte, als sie gingen.
    »Das war’s wohl«, sagte Edvard. Er sah noch immer Gudbrand an.
    »Ja«, sagte Gudbrand.
    »Das war ja keine große Untersuchung.«
    »Nein.«
    »Wer hätte das gedacht.« Das eine aufgerissene Auge starrte Gudbrand noch immer tot an.
    »Hier desertieren ja ständig welche«, sagte Gudbrand. »Da können sie wohl kaum jeden Fall untersu …«
    »Ich meinte, wer hätte das von Sindre erwartet. Dass er auf eine solche Idee kommen würde.«
    »Nein, da hast du Recht«, stimmte Gudbrand zu.
    »Und dann so wenig geplant. Einfach loszulaufen.«
    »Ja, wirklich.«
    »Schade, das mit dem Maschinengewehr.« Edvards Stimme war kalt vor Sarkasmus.
    »Ja.«
    »Und du konntest nicht einmal die Holländer warnen?« »Ich habe ja gerufen, aber es war zu spät. Es war dunkel.« »Der Mond hat doch geschienen«, konterte Edvard.
    Sie starrten einander an.
    »Weißt du, was ich glaube?«, fragte Edvard.
    »Nein.«
    »Doch, das weißt du, ich sehe es dir an. Warum, Gudbrand?«
    »Ich habe ihn nicht getötet.« Gudbrand hatte seinen Blick fest auf Moskens Zyklopenauge geheftet. »Ich habe versucht, es ihm auszureden. Er wollte nicht auf mich hören. Ist einfach losgerannt, was sollte ich tun?«
    Sie atmeten beide schwer und standen gebeugt im Wind, der die Atemwolken vor ihren Mündern sogleich wegriss.
    »Ich weiß noch, wann du das letzte Mal so ausgesehen hast wie jetzt, Gudbrand. Das war in der Nacht, als du den Russen im Bunker getötet hast.«
    Gudbrand zuckte mit den Schultern. Edvard legte Gudbrand seine Hand auf den Arm. Sein Handschuh war voller Eis.
    »Hör mal. Sindre war kein guter Soldat. Vielleicht nicht einmal ein guter Mensch. Doch wir sind Menschen mit einer Moral, und wir müssen versuchen, uns ein gewisses Niveau zu erhalten, unsere Ehre zu bewahren, verstehst du?«
    »Kann ich jetzt gehen?«
    Edvard sah Gudbrand an. Die Gerüchte, dass Hitler nicht mehr an allen Fronten siegte, waren auch bis zu ihnen vorgedrungen. Trotzdem nahm der Strom norwegischer Freiwilliger immer noch zu und Daniel und Sindre waren bereits durch zwei Jungen aus Tynset ersetzt worden. Immer wieder neue, junge Gesichter. Einige blieben in der Erinnerung, andere waren ausgelöscht, sobald sie verschwanden. Daniel war einer von denen, an die Edvard sich erinnern würde, das wusste er. Und ebenso sicher war er sich, dass Sindres Gesicht bald ausgelöscht sein würde. Ausgelöscht. Edvard junior würde in wenigen Tagen zwei Jahre alt werden. Er versuchte nicht länger daran zu denken.
    »Ja, geh nur«, sagte er. »Und zieh den Kopf ein.«
    »Ja natürlich«, antwortete Gudbrand. »Ich werd mich schon ducken.«
    »Weißt du noch, was Daniel gesagt hat?«, fragte Edvard mit einer Art Lächeln. »Wir würden hier derart gebeugt herumstolpern, dass wir sicher einen Buckel hätten, wenn wir nach Norwegen zurückkehren.«
    Ein Maschinengewehr lachte knatternd in der Ferne.
     
    Leningrad, 3. Januar 1943
     
    13 Gudbrand schreckte aus dem Schlaf hoch. Er blinzelte ein paarmal im Dunkeln, sah aber nur die Konturen des Bettes über sich. Es roch nach nassem Holz und Erde. Hatte er geschrien? Die Kameraden behaupteten, von seinen Schreien nicht mehr aufzuwachen. Langsam beruhigte sich sein Puls wieder, dann kratzte er sich an einer Seite. Die Läuse schliefen wohl nie.
    Es war der gleiche Traum wie immer, der ihn geweckt hatte, und noch immer spürte er die Pfoten auf der Brust, sah die gelben Augen und die weißen Raubtierzähne, die nach Blut stanken und zwischendenen der Sabber hervorquoll. Und er hörte den vor Todesangst keuchenden Atem War das sein Atem oder der des Tieres? Das

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