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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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umsonst gewesen sein.«
    Das Pferd war gesattelt. Brockhard nahm die Zügel und der Stalljunge entfernte sich Das Tier stand vollkommen still da.
    »Manche behaupten, es sei grausam, Pferden Tanzschritte beizubringen, und dass es Tierquälerei sei, sie Dinge zu lehren, die angeblich wider ihre Natur sind. Wer das sagt, hat diese Tiere nicht beim Training gesehen, aber das habe ich, und ich kann Ihnen versichern, die Pferde lieben das. Wissen Sie, warum?«
    Er strich dem Pferd über das Maul.
    »Weil das die Ordnung der Natur ist. Gott hat es in seiner Weisheit so eingerichtet, dass das unterlegene Geschöpf nie glücklicher sein kann, als wenn es einem überlegenen dienen und gehorchen kann. Man braucht sich doch nur Kinder und Erwachsene anzuschauen. Mann und Frau. Selbst in den so genannten demokratischen Ländern treten die Schwachen freiwillig die Macht an eine Elite ab, die stärker und klüger ist als sie selbst. Und weil wir alle Geschöpfe Gottes sind, liegt es in der Verantwortung der überlegenen Geschöpfe, dafür zu sorgen, dass sich die Unterlegenen unterwerfen.«
    »Um sie glücklich zu machen?«
    »Genau, Helena. Sie verstehen viel für eine so … junge Frau.« Sie konnte nicht sagen, welches Wort er stärker betonte.
    »Es ist wichtig, dass man erkennt, wo sein Platz ist, sowohl für die, die vorne stehen, als auch für die anderen. Widersetzt man sich, wird man auf lange Sicht nie glücklich.«
    Er tätschelte den Hals des Pferdes und sah in Venezias große braune Augen.
    »Du bist keine, die sich widersetzt, nicht wahr?«
    Helena begriff, dass er damit sie meinte, und schloss die Augen, während sie versuchte, tief und ruhig zu atmen. Sie wusste, dass das, was sie jetzt sagen würde, von entscheidender Bedeutung für ihr ganzes Leben wäre, und dass sie sich nicht von ihrer augenblicklichen Wut hinreißen lassen durfte.
    »Nicht wahr?«
    Plötzlich wieherte Venezia und warf den Kopf zur Seite, so dass Brockhard auf dem Kies ausrutschte, das Gleichgewicht verlor und sich am Zügel unter dem Hals des Pferdes festklammerte. Der Stallbursche kam herbeigestürzt, doch noch bevor er zur Stelle war, hatte Brockhard mit schweißnassem, rotem Gesicht wieder Halt unter den Füßen bekommen. Verärgert hieß er den Jungen zu verschwinden. Helena konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und vielleicht bemerkte Brockhard es. Jedenfalls hob er seine Peitsche in Richtung des Pferdes, besann sich dann aber wieder und ließ sie sinken. Er formte ein paar Worte mit seinem herzförmigen Mund, was Helena noch mehr amüsierte. Dann trat er zu ihr und legte seine Hand noch einmal leicht, aber doch spürbar auf ihren Rücken.
    »Wir haben genug gesehen und auf Sie wartet eine wichtige Arbeit, Helena. Lassen Sie mich Sie zum Wagen begleiten.«
    Sie stellten sich an die Treppe, während sich der Chauffeur ins Auto setzte, um vorzufahren.
    »Ich hoffe und rechne damit, Sie hier bald wiederzusehen, Helena«, sagte er und nahm ihre Hand. »Meine Gattin bat mich übrigens, Ihrer Mutter die besten Grüße auszurichten. Ich glaube, sie sprach sogar davon, Sie beide an einem der nächsten Wochenenden zum Essen einzuladen. Ich weiß nicht mehr genau, wann, aber Sie werden sicher von ihr hören.«
    Helena wartete, bis der Chauffeur ausgestiegen war und ihr die Tür geöffnet hatte, ehe sie sagte:»Wissen Sie, warum das dressierte Pferd Sie fast zu Boden geworfen hätte, Herr Brockhard?«
    Sie blickte ihn an und erkannte, wie ihm die Hitze wieder in die Augen stieg.
    »Weil Sie ihm direkt in die Augen gesehen haben. Pferde erachten Augenkontakt als etwas Herausforderndes, als ob man sie oder ihre Stellung in der Herde nicht respektiert. Wenn das Tier den Augenkontakt nicht vermeiden kann, muss es auf andere Weise reagieren, unter anderem, indem es Aufruhr stiftet. Ohne Respekt zu zeigen, kommen Sie auch bei der Dressur nicht weit, egal, wie überlegen Ihre Art auch sein mag; das wird Ihnen jeder x-beliebige Tierpfleger bestätigen. Für einige Arten ist es unerträglich, keinen Respekt zu bekommen. Im argentinischen Hochgebirge gibt es eine Wildpferderasse, die sich den nächsten Abhang hinunterstürzt, wenn ein Mensch sie zu reiten versucht. Leben Sie wohl, Herr Brockhard.«
    Sie setzte sich auf den Rücksitz des Mercedes und atmete zitternd aus, als sich die Tür weich hinter ihr schloss. Als sie über die Allee im Lainzer Tiergarten fuhren, schloss sie die Augen und sah André Brockhards versteinerte Gestalt im Staub hinter sich

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