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Rott sieht Rot

Rott sieht Rot

Titel: Rott sieht Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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besser.
    *
    Um fünf vor acht scheuchte ich mit dem roten Golf ein paar Kinder auf, die mit Mountainbikes in der Dunkelheit auf der Stockder Straße herumhingen. Ich befand mich in der derselben Gegend, in der ich am Donnerstagabend Svetlana Maiwald gesucht hatte, nachdem sie so plötzlich verschwunden war. Ab und zu konnte ich einen Blick auf den dunklen Hohlweg werfen, dorthin, wo der alte Schienenweg verlief.
    Das Haus, in dem sie wohnte, war ein Allerweltsmietsblock. Als ich mich der Tür näherte, ging per Bewegungsmelder eine Lampe an. »Maiwald« stand auf der obersten Klingel.
    Mindestens hundertmal war in meinem Kopf im Laufe des Nachmittags noch einmal die Szene auf dem Friedhof abgelaufen. Und mindestens hundertmal hatte ich überlegt, was ich eigentlich bei dem Mädchen wollte. Warum hatte sie mich eingeladen? Wirklich nur wegen der Fotos? Oder weil sie jung und spontan war und sich keine Gedanken darüber machte, warum man sich einlud oder auch nicht? Wurde ich alt, weil ich mir darüber Gedanken machte?
    Der Summer ertönte. Ich drückte die Tür auf und stapfte die Treppe hinauf. Mit jeder Stufe verwandelte ich mich mehr in einen aufgeregten Pennäler, der das schönste Mädchen der Klasse zum ersten Mal zu Hause besucht. Meine Herzschlagfrequenz nahm Schritt für Schritt zu.
    Als ich in der obersten Etage ankam, empfing mich niemand. Die Wohnungstür stand einen Spalt offen, und ich klopfte.
    »Kommen Sie rein«, rief eine Stimme von irgendwo hinten. »Und machen Sie schnell wieder zu.«
    Die Wohnung war schummrig. In einem kleinen Wohnzimmer sorgte ein Deckenfluter für indirekte Beleuchtung. Ein schiefes Bücherregal aus hellem Holz schien unter der Last dicker Bildbände zu ächzen; zwei Rattansessel leisteten einem kleinen runden Glastisch Gesellschaft.
    »Ich bin im Bad«, rief sie, und ich folgte dem Flur. Im Bad war eine rote Lampe die einzige Lichtquelle; Svetlanas Haar glänzte exotisch. Der kleine Raum war mit Apparaturen voll gestellt. Mehrere Plastikschalen voll Flüssigkeit reihten sich in der Badewanne aneinander, ein scharfer chemischer Geruch entströmte ihnen. In die Dusche hatte Svetlana einen winzigen viereckigen Tisch gestellt und darauf das Belichtungsgerät untergebracht. Es sah aus wie ein riesiges Mikroskop.
    »Machen Sie bitte die Tür zu«, rief sie. »Gleich geht’s los.«
    Ich quetschte mich hinein, und es war mir nicht unangenehm, dass ich dabei Svetlana kurz streifte. Ein feiner Parfümduft, der mich an den Geruch von Veilchen erinnerte, überdeckte für einen Moment den chemischen Mief, der aus der Wanne drang. Dann drängelten wir uns gemeinsam vor der Dusche.
    Svetlana trug immer noch das schwarze T-Shirt, aber ihre Hose hatte sie gegen knappe Jeans-Shorts getauscht. Nackte Beine, bloße Füße.
    »Ist was?«, fragte sie.
    Ich konzentrierte mich auf die Apparaturen. »Gibt’s da keine moderneren Methoden?«, fragte ich. »Ich dachte immer, heute macht man Fotos mit der Digitalkamera.«
    Svetlana öffnete einen Packen Fotopapier, holte ein kartonartiges Blatt hervor und legte es zurecht. »Das ist nicht dasselbe. Auf diese Art erlebt man noch, wie ein Foto entsteht. Und das macht Spaß! Die Ausrüstung ist natürlich ein bisschen alt. Mein Vater hat sie einem pensionierten Fotografen abgekauft und mir zum achtzehnten Geburtstag geschenkt. Haben Sie schon mal gesehen, wie Fotos entwickelt werden?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Es ist toll, wenn das Bild allmählich entsteht.«
    »Ich bin gespannt.«
    »Das Licht dieser Lampe fällt durch den Film auf das empfindliche Fotopapier.«
    »Und dann wird aus dem Negativ ein Positiv?«
    »Erst wenn wir das Papier im Entwickler gebadet haben. Danach wird es fixiert und im Waschbecken gewässert.«
    Sie griff an den Kopf des Riesenmikroskops, Licht schaltete sich ein, und auf dem weißen Fotopapier darunter erschien in der Projektion eine geisterhafte Figur mit schwarzem Gesicht und weißen Augen. Mein Bild im Negativ. Nach ein paar Sekunden schaltete Svetlana das Licht wieder aus, nahm das Fotopapier mit einer Metallzange und legte es in eine der beiden Schalen in der Wanne. Gemeinsam beugten wir uns über den Rand und warteten. Aus dem weißen Hintergrund entstand nach und nach das Positiv.
    »Dieser Moment ist immer der spannendste.«
    »Wie oft machen Sie das? Ich meine, Bilder entwickeln.«
    Sie badete das Foto kurz in einer anderen Schale und ließ es dann ins wassergefüllte Waschbecken gleiten.
    »Wenn ich Zeit habe. Im

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