Rott sieht Rot
und es dauerte ziemlich lange, bis mir etwas einfiel.
»Wir haben übrigens etwas gemeinsam«, sagte ich schließlich.
Sie stellte ihre Tasse ab und sah mich an. »Seltene Vornamen. Weiß ich schon.«
»Das meine ich nicht. Wir sind beide Waisen. Meine Eltern kamen bei einem Verkehrsunfall ums Leben, als ich fünfzehn war.« Mir dämmerte, dass das vielleicht kein gutes Thema war, aber jetzt war es zu spät.
»Und dann sind Sie Polizist geworden.« Sie korrigierte sich. »Ach nein, Sie sind ja Detektiv.«
»Ich wollte tatsächlich erst zur Polizei. Sie haben mich aber nicht genommen. Am Sport in der Aufnahmeprüfung bin ich gescheitert.«
»Und was haben Sie dann gemacht?«
»Ein bisschen studiert und die Lebensversicherung, die ich geerbt hatte, verjubelt.«
Sie schenkte uns Tee nach. »Ich habe leider nichts geerbt. Mein Vater war nur ein einfacher Lagerist in einem Vertrieb für Autoteile.«
Wieder entstand eine Pause, die diesmal Svetlana beendete.
»Sagen Sie - die Sache mit dem Schaufenster. Hat die noch Folgen für mich?«
Ihr Blick war einer von der Sorte, der man als Mann nicht widerstehen kann. Vor allem nicht, wenn einem das Mädchen sympathisch ist.
Ich stellte fest, dass ich den Kopf schüttelte, und ich hörte mich mit sanfter Stimme »nein« sagen. »Machen Sie sich keine Gedanken«, setzte ich hinzu.
Svetlana schwieg eine Weile, dann reichte sie mir über den Tisch hinweg die Hand. »Freunde?«, fragte sie.
Irgendetwas in mir schien sich mit allerlei unklaren Gefühlen zu füllen, und das so schnell, dass ich fürchtete, innerlich zu platzen.
»Freunde«, bekräftigte ich und schlug ein. Zum Glück schien sie zu ignorieren, dass meine Handfläche von dem Wirrwarr, der in mir herrschte, ganz nass war.
»Dann ist es gut«, sagte sie nur. »Vergessen wir das mit dem Sie. Ich heiße Svetlana.«
»Remi«, sagte ich heiser.
*
Die nächsten zwei Stunden vergingen wie im Flug. Wir redeten über unsere Eltern, über die Arbeit und verglichen Remscheid mit Wuppertal. Irgendwann kamen wir auf die Geschichte von dem US-Kampfbomber, der 1988 ganz hier in der Nähe in das Wohngebiet gestürzt war.
Als ich auf die Uhr sah, war es kurz nach halb elf. Es gab wieder mal eine Gesprächspause, und im selben Moment klingelte irgendwo ein Telefon.
»Einen Moment«, sagte sie, stand auf und griff nach dem Apparat, der auf dem kleinen Schreibtisch stand. Sie nahm das Mobilteil und verließ das Zimmer. Ein Stich von Eifersucht durchfuhr mich. Reiß dich zusammen, sagte ich mir. Sie kann telefonieren, mit wem sie will.
Ich hörte sie gedämpft irgendwo sprechen; vermutlich im Schlafzimmer, das es ja in dieser kleinen Wohnung auch noch geben musste. Ihre Stimme wurde lauter und hektischer; ich konnte aber nichts verstehen. Offenbar zwang sie sich, zu flüstern.
»Nein!«, sagte sie plötzlich deutlich vernehmbar. »Das kannst du nicht machen.« Ich spürte, wie sich mir die Haare im Nacken aufstellten. »Nein, nein, nein.« Jetzt bekam ihre Stimme etwas Flehendes. »Hör mir doch mal zu. Wie kannst du …« Sie schien unterbrochen zu werden, und eine ganze Weile kam nichts mehr. Dann wieder undeutliches Gemurmel. Schließlich: »Nein, nein.«
Jetzt klang es verzweifelt. Die Stimme wirkte gepresst, als würde Svetlana gleich in Tränen ausbrechen.
Plötzlich war Stille. Unwillkürlich sah ich hinüber zur Basisstation des Telefons, die auf dem Schreibtisch stand. Das Kontrolllämpchen war aus. Das Telefonat war beendet, aber Svetlana kam nicht zurück.
Ich verhielt mich eine Weile still; es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich hörte, wie draußen auf der Straße ein Wagen vorbeifuhr. Nach ein paar Minuten schlief mein rechtes Bein ein. Ich suchte eine andere Sitzposition, und das Rattan quietschte - ohrenbetäubend, wie ich fand. Ich stand auf und ging in den kleinen Flur.
Svetlana lag bäuchlings auf dem Bett. Sie hatte das Gesicht in einem Kissen verborgen und zitterte. Ich berührte sie leicht an der Schulter, und sofort zuckte sie zusammen und fuhr herum. Ihr Gesicht glänzte, es war tränenüberströmt. Sie sah mich an, als hätte sie mich noch nie gesehen.
»Was willst du noch hier«, brachte sie hervor. »Hau doch ab.« Sie setzte sich hin; das Telefon rutschte hinunter und knallte auf den Boden. Ich hob es auf.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Nichts ist los, verdammt.« Sie wandte sich ab.
»Schlechte Nachrichten?«
Sie nahm ein Taschentuch und putzte sich die Nase. »Schlecht«, sagte sie,
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