Rott sieht Rot
Verein nichts mehr zu tun haben und drehte das Ding leise. Irgendwann löschte ich alles, was auf dem Band war. Etwas später zog ich den Draht aus der Wand. Und das langsame Absacken ging weiter.
Am Montag raffte ich mich zum Einkäufen auf. Abends und am darauf folgenden Tag sah ich auf dem Fernsehschirm Stefan Raab Leute verarschen, Harald Schmidt grinsen, Megaperls explodieren; ich erlebte, was man alles im Maggi-Kochstudio zaubern konnte, sah mindestens zwanzigmal, wie Zwillinge mit dem Schluss »Gute Preise - gute Besserung« Punkte beim Zuschauer zu sammeln versuchten.
Am Mittwoch versuchte ich, das lockere Sommergefühl wiederzubekommen. Ich setzte mich ins Engel und bestellte einen doppelten Cappuccino. Irgendwann kam einer der rot beschürzten Kellner.
»Warten Sie darauf, dass Ihnen der Kaffee von selbst in den Mund springt?«, fragte er.
Ich sah auf. »Warum?«
Er zuckte die Achseln und lächelte. »Sie starren seit zwei Stunden auf die volle Tasse. Ich dachte, Sie wollten sie hypnotisieren.«
8. Kapitel
Ich war in der Nacht vor dem Fernseher eingeschlafen und wieder wach geworden, als sich dickbusige Hausfrauen an Bettbezügen rieben und in rhythmischem Gesang ihre Nullhundertneunzignummern bekannt gaben. Ich war ins Bett gegangen und gegen Mittag wieder aufgewacht. Die Stille in der Wohnung machte mich nervös. Ich ging zum Fernseher, schaltete ihn wieder an und schleppte mich ins Bad.
Mein Magen rebellierte gegen die Konservenkost und gegen das Bier. Mein Speichel schmeckte, als hätte ich einen alten Socken verspeist. Ich putzte mir die Zähne, lüftete die Wohnung und wollte mich anziehen. Meine Klamotten stanken nach Zigaretten. Ich warf sie hinüber ins Büro.
Bevor ich den letzten Satz Unterwäsche mit meinem verschwitzten Körper einsaute, wollte ich noch duschen. Ich hatte gerade die Kabine betreten und das Wasser aufgedreht, da klingelte es Sturm.
Ich kümmerte mich nicht darum und duschte weiter. Aber wer auch immer da vor der Tür stand, gab keine Ruhe. Während ich mir unbeholfen ein Handtuch umlegte, steigerte sich das Geklingel zu einem schrillen Konzert.
Zum Glück hatte der Vermieter alle Wohnungen im Haus vor kurzem mit einer Gegensprechanlage ausgestattet. Ich meldete mich, hörte aber nichts. Dafür war der Lärm plötzlich ganz nah. Jemand schlug von außen gegen die Tür.
»Remi, nun mach schon auf. Ich bin hier oben.«
Es war Jutta.
»Meine Güte, warum gehst du denn nicht ans Telefon?«, rief sie ungeduldig, während sie hereingerauscht kam. »Man könnte glatt glauben, du wärst gestorben.« Ihre laute Stimme schnitt in meinen Kopf wie ein Messer.
»Welchen Tag haben wir heute?«, fragte ich.
»Donnerstag. Wieso? Und wie sieht’s hier überhaupt aus?« Sie sah sich um. »Ich bin ja einiges gewohnt, aber das hier …«
Im Büro stand eine leere Bierkiste. Die Flaschen waren nicht eingeräumt, sondern lagen kreuz und quer daneben, als hätte jemand vergeblich versucht, nach den leeren Fächern zu zielen. Daneben häufte sich schmutzige Wäsche. Vom Wohnzimmer aus zeigte eine Spur von Brotkrümeln, welchen Weg ich in den letzten Tagen vom Fernseher in die Küche genommen hatte. Wenn man durch die Wohnung ging, trat man garantiert mindestens zehnmal auf einen der Kronkorken, die wie Tretminen herumlagen. Mittendrin lief der leise gestellte Fernseher, auf dem gerade irgendeine dieser Bärbels, Arabellas oder Nicoles so genannte Durchschnittsmenschen zu Verbalattacken anheizte.
»Lass mich in Ruhe«, sagte ich, ging wieder ins Bad und begann mich abzutrocknen.
»Du musst mir aber helfen«, erklärte Jutta und kam mir hinterher.
»So, so«, sagte ich. »Hast du ein Problem?«
»Nicht nur ich«, sagte sie, und ich sah ihr an, dass sie wirklich unter Druck stand. Das hatte ich selten erlebt. Ich ließ sie eine Weile stehen. Sie trat hektisch von einem Bein aufs andere.
»Was willst du eigentlich?«, fragte ich, als ich in die letzte saubere Unterhose gestiegen war und ein T-Shirt übergestreift hatte. »Ich denke, ich bin ein Versager.«
»Vergiss es. Ich hab das doch nicht so gemeint. Mensch, Remi - wir haben doch schon so viele Fälle gemeinsam gelöst -«
»Zwei, um genau zu sein.«
»Aber jetzt ist wirklich was Schlimmes passiert.«
»Wem?«
»Uns.«
Ich musste unwillkürlich grinsen. »Uns? Du meinst, dir und mir?«
»Agnes und mir. Das heißt - eigentlich Agnes.«
Mein Innenleben wurde plötzlich so still wie das Innere eines Hurrikans. Ich setzte mich
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