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Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Titel: Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Signe Danielsson , Roman Voosen
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schließlich Biobäuerin im Osnabrücker Land.
    Dahlin, Andersson, Hakelius, Meringer; alle tot. Aber nach Nyströms Schilderung war auf dem Foto, das Dahlin seiner Mutter geschickt hatte, noch eine weitere Person zu sehen. Eine fünfte Frau. Das klingt ja fast schon wie ein Krimititel, dachte Forss. Falls das Bild keine Zufallsaufnahme war, schwebte diese fünfte Frau in Lebensgefahr. Und an Zufälle glaubte Forss in diesem Fall eigentlich nicht mehr.
    Das Taxi hielt in den Tiefen der Großbausiedlung Marzahn. Forss zahlte und stieg aus. Mit fast 60.000 Wohnungen war der Plattenbaukomplex die mit Abstand größte Wohnanlage Deutschlands. Ganz Växjö in einem Hochhaus, dachte sie. Irgendwo hier war vor mehr als zwanzig Jahren eine der zehn RAF-Aussteigerinnen verhaftet worden, hatte in Forss’ Wikipedia-Ausdrucken gestanden. Der Aufzug roch nach Putzmittel und kaltem Zigarettenrauch. Forss zählte vierzehn Hakenkreuze, die in das Blech der Fahrstuhlverkleidung geritzt waren. Auf Kopfhöhe stand Auslender ins Gas , daneben zwei SS-Runen.
    Mit einem asthmatischen Knarzen hielt der Aufzug an. Sie ging den Flur entlang. Vor der Tür mit dem Namen Kurt Zeuner blieb sie stehen. Das Schloss bereitete ihr keine Probleme, nach weniger als einer Minute war sie in der Wohnung. Sie ließ die Türe hinter sich zufallen. Der starke Geruch von feuchtem Gips stach ihr in der Nase. Flur, Küche, Wohn- und Schlafzimmer, sie kannte den Schnitt solcher Plattenbauwohnungen aus früheren Einsätzen. Die Räume wirkten aufgeräumt und sauber, aber verlebt. Billige Möbel, fadenscheinige Bettwäsche, in den Küchenschränken gesprungenes Geschirr. Unter der Spüle fand sie vier leere Weinbrandflaschen, auf dem Nachttisch lagen Broschüren zum Thema Alkoholismus. War der Mörder ein Trinker? Schwer vorstellbar. Alles, was er getan hatte, zeugte von Überlegung, Planung, Akribie. Andererseits gab es viele Alkoholiker, die im Alltag funktionierten. Wobei: Als Alltag konnte man eine Mordserie wohl kaum bezeichnen. Sie durchsuchte Zeuners Wohnung weiter. In einer Schublade fand sie einige Orden. Sie zeigten allerhand Schilder, Schwerter, Hammer, Zirkel, Sicheln. Auf dem auffälligsten und schwersten Abzeichen, einer goldenen Medaille an einem breiten roten Band, war eine Schutzschildförmige DDR-Flagge mit Eichenlaub, Schwert und Banner abgebildet. Drumherum die Prägung Verdienter Mitarbeiter der Staatssicherheit . Zeuner war ein ehemaliger Stasi-Offizier. Hatte er in den Achtzigerjahren mit der Unterbringung der RAF-Aussteiger zu tun gehabt? Mit ihrer Flucht nach Schweden? Aber wieso sollte er ein Interesse haben, seine ehemaligen Anvertrauten zu töten? Wo war da das Motiv?
    Forss ging zurück in die Küche und ließ sich aus dem Hahn ein Glas Wasser ein. Jetzt erst spürte sie, wie durstig sie war. Sie trank ein zweites Glas. Hinter dem Fenster stand eine diesige Sonne. Selbst von hier aus konnte Forss im Westen die Spitze des Fernsehturms sehen. Auf der markanten Kugel unterhalb der weiß-roten Antenne reflektierte das Sonnenlicht in der Form eines matten Kreuzes. Irgendjemand hatte ihr einmal erzählt, dass dieses ewige Lichtkreuz über Ostberlin die Führung der DDR ob ihres atheistischen Selbstverständnisses maßlos geärgert habe. Im Volksmund hatte das Lichtphänomen Rache des Papstes oder auch – in Anspielung auf den langjährigen Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht – Sankt Walter geheißen. Forss musste an die Märtyrermorde denken. Wie sollten religiös aufgeladene Ritualverbrechen zum Weltbild eines ehemaligen sozialistischen Militärs wie Zeuner passen? Reiner Alkoholwahn? Wohl kaum. Das ergab alles keinen rechten Sinn.
    Dann hörte sie ein Geräusch. Das Türschloss. Sie erschrak. Auf keinen Fall durfte sie hier gefunden werden. Sie hatte keinerlei Legitimation, hier zu sein. Mit wenigen Schritten war sie im Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank, presste sich zwischen Mäntel und Jacken, ging in die Hocke und schloss die Schranktür hinter sich. Zum Glück war sie eine kleine, schlanke Frau. Kleiderfussel und Staub kitzelten sie bedrohlich in der Nase. Schritte auf den Fliesen der Küche. Schuhe mit harten Sohlen. Sie hörte es ganz deutlich, obwohl das Blut in ihren Ohren dröhnte. Ihr Herz flatterte, ihre Gedanken rasten. Am wahrscheinlichsten war die Möglichkeit, dass es ein ganz normaler Beamter der Berliner Polizei war. Da Zeuners Wohnwagengespann in Schweden gefunden worden war, wäre es die übliche

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