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Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Titel: Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Signe Danielsson , Roman Voosen
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nippte an seinem Espresso, es war bereits der zweite, den ihm Kalle Franzén serviert hatte. Bald hatte sich herausgestellt, dass Franzén jemand war, der viel zu erzählen hatte, wenn auch bis jetzt wenig davon Olof Andersson betroffen hatte. Anscheinend bekam er nicht allzu oft Besuch. Seine anfängliche Jovialität war abgeblättert wie alte Farbe und darunter kam ein trauriger Mann zum Vorschein, den Arbeitslosigkeit über die Jahre verbittert hatte.
    »Als die Bahn mit den Privatisierungen begann, wurden Leute wie ich von einem Tag auf den anderen überflüssig. Dreiundzwanzig Jahre Lokführer im Güterverkehr und plötzlich soll meine Arbeit nichts mehr wert sein. Hast du eine Ahnung, wie sich das anfühlt?«
    Knutsson brummte etwas in seinen Bart, das vage Zustimmung signalisieren sollte. Franzén erzählte von der Aufgliederung des ehemaligen Staatsbetriebs. Den Preiserhöhungen und Personalentlassungen. Dem schlechter werdenden Streckennetz und den verwaisten Bahnhöfen. Dem bedingungslosen Glauben an Rentabilität und Rendite. Das meiste kam Knutsson entfernt bekannt vor. Bestimmt hatte er einiges darüber in den Nachrichten gehört oder in der Zeitung gelesen. Doch wenn er ehrlich war, zappte er bei solchen Meldungen im Fernsehen gerne weiter oder schlug in der Zeitung eine Seite um. Er hörte und las nicht gerne von Dingen, die ihm Unbehagen bereiteten, vor allem nicht von der Zersetzung des schwedischen Sozialstaats, an den er fest glaubte und den er als richtig empfand. Aber gab es nicht dennoch auch globale Zwänge, internationale Spielregeln, die Schweden die Marschrichtung vorgaben? Jedenfalls klang es so, wenn man den Politikern zuhörte. Alternativlos war so ein Wort, das man sehr häufig hörte in letzter Zeit, fand er. Trotzdem verstand er nicht, weshalb das alles dazu führen sollte, dass Bahnstrecken eingestellt wurden. Oder Menschen wie der traurige Kalle Franzén arbeitslos wurden.
    »Hast du denn schon einmal überlegt, eine Umschulung zu machen? Zum Beispiel zum Postboten oder so?«
    Vorsichtig versuchte er das Gespräch in Richtung des toten Andersson zu lenken.
    »In meinem Alter?«, fragte Franzén. Er klang entrüstet. »Ich bin achtundfünfzig! Mit der Arbeitswelt da draußen habe ich schon vor langer Zeit abgeschlossen.«
    Stattdessen hast du dir hier drinnen deine eigene Welt gebaut, dachte Knutsson. Im Maßstab 1:87. Er hatte Mitleid mit dem Mann. Dann dachte er wieder an das, was zwei Häuser weiter passiert war.
    »Olof Andersson ist tot«, sagte er unvermittelt. »Man hat ihn ermordet.«
    Franzén reagierte langsam, verzögert.
    »Und ich dachte, ihr wärt wegen eines Einbruchs gekommen«, sagte er schließlich.
    Dann verhärtete sich seine Miene.
    »Zigeuner«, sagte er, »das waren bestimmt die Zigeuner!«
    »Wie meinst du das?«
    Knutsson wand sich auf seinem Stuhl. Er wusste, dass er etwas anderes entgegnen sollte. Die Wortwahl des Mannes verbessern, Sinti und Roma, hieß es ja wohl richtig, wo kam man denn da hin, wenn man den Leuten ihre dummen Vorurteile, ihre Fremdenfeindlichkeit, ihren Alltagsrassismus durchgehen ließ? Arbeitslosigkeit hin oder her. Aber da redete Franzén schon weiter, die Stimme jetzt aufgekratzt, die Augen aufgerissen.
    »Ich habe sie gesehen heute Nacht, in so einem typischen Zigeunergespann!«
    »Wie bitte?«
    Knutssons sah vor seinem inneren Auge eine Szene wie aus einem Ingmar-Bergman-Film: ein altertümlicher Planwagen, auf dem Kutschbock eine Frau mit Kopftuch, neben ihr ein Südländer mit goldenen Ohrringen.
    »Ein alter Mercedes, Siebzigerjahre. Mit einem dieser Wohnwagen hinten dran, ebenfalls uralt. Das reinste Zigeunergefährt, und das um vier Uhr morgens in unserer Straße!«
    18
    Sie saßen seit so vielen Stunden im Besprechungszimmer, dass Ingrid Nyström jedes Zeitgefühl verloren hatte. Die Müdigkeit klebte an ihr wie ein Neoprenanzug, presste sie wie eine zu enge Haut. Vielleicht schrumpfe ich, dachte sie, vielleicht schrumpfe ich unter dem Druck einfach zusammen, bis ich nicht mehr da bin. Für einen Moment war das ein beinahe tröstender Gedanke, dann schob sie ihn zur Seite. Erneut war in der oberen Etage des Präsidiums die Klimaanlage ausgefallen, die Raumtemperatur musste bei dreißig Grad liegen, der Sauerstoff schien lange verbraucht. Hinter der getönten Panoramascheibe zog die Abendsonne in einem weiten Bogen über die Stadt und leuchtete die erschöpften Gesichter der Kollegen mit der Unbarmherzigkeit eines

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