Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
»vielen Dank für deine Hilfe.«
»Welche Hilfe denn?«, flüsterte Saale. Wieder griffen ihre Zehen nach den Lederfransen. Knutsson machte Anstalten aufzustehen, doch Forss’ Arm hielt ihn zurück. Da war noch etwas, das spürte sie. Etwas, das sie erfahren mussten, etwas Wichtiges. Es war irgendwo in Sara Saale, irgendwo in dieser schönen, verlorenen Frau und es wollte hinaus. Forss lehnte sich in ihrem Sessel zurück und Knutsson gehorchte ihrem strengen Blick. Die Klavieraufnahme perlte im Nebenzimmer; fröhliche Musik aus einer anderen Zeit, Champagnermusik, vollkommen fehl am Platze und doch merkwürdig tröstend wie das Versprechen darauf, dass irgendwann alles gut werden würde. Schließlich sprach Sara Saale weiter. Ihre Stimme klang vorsichtig, tastend.
»Er hat so schlecht geschlafen. Jedenfalls, wenn er bei mir übernachtet hat und nicht zu Hause oder bei einer seiner vielen ...« Sie schluckte. »Er hatte bisweilen diese schweren Träume, dann hat er sogar geweint im Schlaf, mit den Zähnen geknirscht, manchmal sogar geschrien vor Angst oder Entsetzen oder Gott weiß was.«
Gedankenverloren massierte sie eine Stelle unter ihrem rechten Auge.
»Was hat ihn denn so belastet?«, fragte Forss.
»Ich weiß es nicht. Ich habe mir natürlich Sorgen gemacht. Auf ihn eingeredet. Gefleht, gebettelt, mit mir darüber zu sprechen. Aber das wollte er nie. Er hat es kleingeredet. Abgeblockt. Das hat zu vielen Streitereien geführt. Einmal habe ich sogar damit gedroht, die Beziehung zu beenden.«
Saales Füße verkrampften sich.
»Wie hat er darauf reagiert?«
»Er hat Angst bekommen. Er ist ein wenig aufgetaut. Ich habe ihm gesagt, dass ich keine Beziehung zu einem Mann möchte, der Geheimnisse vor mir hat. Und damit meinte ich nicht seine Liebschaften. Die taten natürlich weh, aber trotzdem konnte ich damit leben. Aber ich konnte es nicht aushalten, dass ihn etwas von innen heraus zerfraß. Da war etwas, das ganz tief in ihm saß und das nur nachts in seinen Albträumen nach außen drang. Ein Dämon, mit dem er rang.«
Ihr Finger wanderte von ihrem Jochbein zu den Augenbrauen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, bürstete sie die feinen Härchen gegen den Strich.
»Der Psychologe hat uns geraten, seine Träume aufzuschreiben.«
»Der Psychologe?«
»Nach unserer großen Krise konnte ich ihn dazu bewegen, dass wir zu einem Paartherapeuten gehen. Das war meine Bedingung, damit es mit uns weitergeht. Er hat zugestimmt, wenn auch widerwillig. Aufgeschrieben hat er jedoch nichts. Das habe ich dann getan.«
»Seine Träume notiert?«
»Nein, das ging ja wohl nicht. Aber zumindest das, was er im Schlaf gesprochen hat. Soweit ich es gehört habe. Und verstanden. Vieles war ja auch auf Deutsch.«
»Auf Deutsch?«, entfuhr es Forss. Knutsson brummte etwas. Sie sahen sich an.
»Ja, auf Deutsch. Ich verstehe kaum Deutsch. Aber ich erkenne es natürlich, wenn ich es höre.«
»Wovon hat er denn gesprochen?«
»Wie gesagt, ich verstehe Deutsch so gut wie gar nicht. Aber ein Wort war dabei, das klang wie ein Name. Es tauchte immer wieder auf, wenn er Deutsch sprach. Daran hatte er sich regelrecht festgebissen.«
»Ein Name?«, fragte Forss.
»Es klang wie ein Name, fand ich.«
»Und der wäre?«
Saale sah auf.
»Das weiß ich nicht aus dem Kopf. Es war ja wie gesagt auch kein schwedisches Wort. Aber ich habe es aufgeschrieben. Soll ich meine Aufzeichnungen holen?«
»Das könnte in der Tat hilfreich sein«, sagte Forss.
Saale erhob sich. Sie schwebte aus dem Zimmer, ihre nackten Füße machten auf dem Parkett keine Geräusche. Vielleicht ist sie wirklich schon ein Geist, dachte Forss. Nach einer Minute war Saale wieder da. In der Hand hielt sie einen kleinen Block.
»Åsterode«, las sie und schaute die Beamten an. »Oder so ähnlich.«
»Wer ist Åsterode?«, fragte Knutsson.
»Osterode. Nicht wer. Sondern wo. Ein Ort«, sagte Forss langsam. »Eine Stadt im Harz. In der Mitte Deutschlands.«
»Er wollte leider nie über dieses Osterode sprechen«, sagte Saale und setzte sich wieder. »Was das anging, war er verschlossen, auch dem Therapeuten gegenüber. Nach der vierten oder fünften Sitzung sind wir auch nicht mehr hingegangen, es brachte ja nichts. Aber ich hatte immer den Eindruck, dass damals irgendetwas passiert sein musste. In seiner Studienzeit in Deutschland, meine ich. Irgendetwas, das ihn nicht losgelassen hat. Eine Art Trauma, vermute ich. Wenn ich versucht habe, ihn darauf anzusprechen,
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