Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
dir? Wir sitzen hier gerade zusammen in der Küche, ja, Anna und Madeleine sind bereits heute Abend vorbeigekommen, um Marie und mir bei den Vorbereitungen zu helfen. Und um sich ein bisschen um die Kleinen zu kümmern.« Er lachte. »Die Zwillinge halten uns alle ganz schön in Atem!«
»Wie schön.«
Die Verbindung war so schlecht, dass sie das Echo ihrer eigenen Stimme hören konnte. Wie unangenehm das klang. Wie unangenehm sie klang. Sie strengte sich an, mit fester Stimme zu sprechen.
»Wirklich schön.«
»Ja, gerade lachen die drei mich aus. Also die Mädchen, nicht die Kleinen. Die sind ja längst im Bett.«
Die Mädchen. Wie er das sagte. So als wäre Madeleine Tedenlid eine ihrer Töchter.
»Ja, ich habe ihnen gerade erzählt, dass ich gestern Abend bei Englunds war. Du erinnerst dich? Sie wollten uns ja unbedingt zeigen, wie sie ihre Küche renoviert haben, und fragten, ob wir nicht Lust hätten, auf einen Wein und Bruschetta rüberzukommen. Das war ja nett von denen, aber ich habe mich den ganzen Nachmittag gefragt, was dieses Bruschetta wohl sein sollte. Weißt du, was das ist? Ich wollte ja nicht mit leerem Magen kommen, wenn es nichts Richtiges zu essen gäbe. Zur Sicherheit habe ich mir vorher ein paar Pfannkuchen gemacht und das war gut so, weil das Bruschetta war nicht anders als Toast mit Knoblauch und Tomate und solchem Zeug.«
Anders gluckste. Sie konnte trotz der schlechten Verbindung hören, dass er wohl auch heute Abend schon ein Glas Wein getrunken hatte, mindestens. Sie konnte das schreiende Lachen von Anna und Madeleine im Hintergrund hören und wie Anders sich Mühe gab, nicht vollends loszuprusten. Sie selbst verstand nicht, was an der Geschichte so lustig sein sollte. Bruschetta , Toast, war doch Jacke wie Hose.
»Anna versucht mir gerade klarzumachen, dass ich so etwas vorher googlen muss. Das sei das Einfachste der Welt, behauptet sie. Die Englunds waren ganz überrascht, dass ich Bruschetta nicht kannte, wir sind ja vor nicht allzu langer Zeit in Italien gewesen. Dann habe ich denen erklärt …«
Anders Stimme platzte an ihrem Ohr und aus ihrem Handy strömte eine Lachsalve mehrerer Personen, die sie nicht auseinanderhalten konnte. Sie hielt das Telefon vom Ohr weg, guckte es an und presste die Zähne aufeinander. Sie fühlte sich einsam. Eine leichte Sommernachtsbrise streifte ihre Wangen. Kurz roch es stark nach verwestem Fisch. Wo bin ich hier eigentlich, dachte sie. Ich kenne noch nicht einmal den Namen dieser Ortschaft. Irgendwo in einem Hotel außerhalb von Norsjön.
»… habe ich gesagt …«
Anders versuchte sein Lachen zu verschlucken, was ihm nur halbwegs gelang.
»... wir nennen das verbranntes Brot!«
Lachexplosionen.
Nyström verstand nicht. Aus einem Impuls drückte sie das Gespräch weg. Die Lebendigkeit verstummte und hinterließ eine fast greifbare Stille. In ihren Augen standen Tränen. Warum war sie nicht zu Hause? Warum saß sie nicht auch in der Küche und scherzte mit ihren Töchtern? Mit Anna und Marie. Und mit Madeleine? Warum war sie nie da, wenn die Stimmung so heiter wurde und alles nur das sein konnte, was es war. Sie wischte mit dem Rücken ihrer Hand die Tränen weg und schloss die Augen. Seit Anna ihr erklärt hatte, dass Madeleine ihre Freundin war, nicht nur eine Freundin, sondern ihre Freundin, denn genauso hatte sie es gesagt Sie ist meine Freundin Mama, kapierst du ?, seitdem war alles anders. Dabei hatte sie verstanden, langsam zwar und unsicher, aber doch, sie hatte verstanden, und trotzdem war alles anders. Als würde Anna ihr vorwerfen, es nicht zu akzeptieren. Dabei wollte sie so gerne offen sein und die Lebensentscheidungen ihrer Tochter respektieren. Oder vielleicht ging es nicht mal um Entscheidungen, sondern um Gefühle. Sie bemühte sich, eine verständnisvolle und liebe Mutter zu sein. So wie Anders ein lieber Vater war. Er hatte Madeleine sofort ins Herz geschlossen und während sie spürte, wie Anna ihr mehr und mehr entglitt, schienen Vater und Tochter die besten Freunde geworden zu sein.
In ihrer Hand vibrierte das Handy. Der grelle Klingelton schnitt in die Stille. Sie suchte fahrig nach Wörtern, mit denen sie Anders innerlich erreichen könnte, aber ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Mit einem Tastendruck lehnte sie den Anruf ab.
15
Zeuner trank. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Ein Balanceakt, genug Alkohol, um die Zweifel in Schach zu halten. Die Schuld und die Skrupel. Aber auch nicht so viel Schnaps, dass
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