Roulette der Liebe
deuten — Hirsche mit mächtigen Geweihen, Pfeilspitzen, eine wellenförmige Linie, die wahrscheinlich »Wasser« oder »Fluß« bedeutete. Andere Bilder waren rätselhafter. Gesichter, die nichts Menschliches aufwiesen, Figuren in gespenstischen Roben, Augen, die seit Tausenden von Jahren starr geradeaus blickten.
Der Zauberpriester hatte derartige Zeichnungen getragen. Vielleicht auch andere Männer vor ihm. Doch jetzt baute kein Mensch mehr Felsstädte oder kam hierher, um von diesem Wasser zu trinken. Keine Frau kam, um Krüge und Becher in der kühlen Stille des Canyons zu füllen. Kein Kind tauchte seinen Finger in das Wasser und malte flüchtige Zeichnungen an die Felswände.
Und dennoch lag ein seltsamer Friede in dem kristallenen Gelächter des Teiches. Verwaist oder nicht, Saloongirl oder Heilige, geliebt oder einsam - Eve wußte, auch sie war Teil des riesigen Regenbogens des Lebens, der sich von der unerforschten Vergangenheit bis hin zur unvorhersehbaren Zukunft spannte. Hände wie ihre hatten vor unzähligen Jahrhunderten geheimnisvolle Malereien auf Felswänden hinterlassen. Hirne wie ihres würden auch noch unzählige Jahre später versuchen, die Rätsel zu entziffern.
Reno bückte sich, fand einen Kieselstein von der Größe seiner Handfläche und begann, vorsichtig auf die Felswand einzuhämmern. Mit jedem Schlag von Stein gegen Stein löste sich die dünne schwarze Schicht, die Wasser und Zeit auf dem Felsen hinterlassen hatten, und enthüllte das hellere Gestein darunter.
In kurzer Zeit hatte er das Datum und den Namen Matthew Moran eingeritzt.
»Heißt du wirklich Evening Star?« fragte Reno, ohne sich umzudrehen.
»Mein Name ist Evelyn«, erklärte sie mit heiserer Stimme. »Evelyn Starr Johnson.«
Sie kämpfte blinzelnd gegen die aufsteigenden Tränen an, denn jetzt war sie nicht mehr die einzige, die ihren richtigen Namen kannte.
Eve ließ sich auf dem Rücken treiben, blickte in den saphirblauen Himmel über sich, beobachtete die tintenschwarzen Schatten, die langsam über glatte Felswände krochen. Die Wellen, die durch herabfließendes Wasser entstanden, schaukelten sie sanft hin und her. Von Zeit zu Zeit griff sie haltsuchend mit einer Hand nach dem glatten Stein oder dem kühlen Boden des Teichs, nur knapp einen halben Meter unter ihrem Körper.
Eve ließ die Stille in sich einsinken, ließ sich schweben zwischen Tag und Traum, obwohl sie wußte, sie sollte zum Lager zurückkehren. Aber sie war einfach noch nicht bereit, den köstlichen Frieden des Teichs zu verlassen, war noch nicht bereit, dem schwelenden Feuer in Renos grünen Augen zu begegnen, während er sie verlangend anblickte.
Eve fragte sich, was Reno wohl in ihren Augen sah, wenn er sich plötzlich umdrehte und sie dabei ertappte, wie sie ihn beobachtete. Sie hatte Angst, er sähe ein Spiegelbild ihres eigenen Hungers nach ihm. Sie wollte noch einmal das überwältigende, süße Feuer spüren, das in ihr aufstieg, wenn er sie in die Arme nahm und sie an sich preßte.
Und dennoch wünschte sie sich mehr als allein seine Leidenschaft. Sie wollte auch sein Lachen und seine Träume, sehnte sich nach seinem Vertrauen, nach seiner Achtung und seinen Kindern. Sie wollte alles mit ihm erleben, was ein Mann und eine Frau miteinander teilen konnten: Freude und Sorge, Hoffnung und Schmerz, Leidenschaft und Frieden, alles von dem Leben, das wie ein unerforschtes Land vor ihnen lag.
Und am sehnlichsten von allem wünschte Eve sich Renos Liebe.
Er dagegen wollte nur ihren Körper. Mehr nicht.
Ich behalte den Ring und die Perlen, bis ich eine Frau finde, die mich mehr als ihre eigene Bequemlichkeit liebt.
Und während ich auf der Suche nach dieser Frau bin, werde ich ein Schiff aus Stein finden, trockenen Regen und ein Licht, das keinen Schatten wirft.
Eve schloß die Augen, als eine Welle von Kummer sie überrollte. Doch egal, wie fest sie die Augen vor der Wahrheit verschloß... die Wahrheit war hinter ihren Lidern, verfolgte und peinigte sie.
Es gab eine Möglichkeit, Reno davon zu überzeugen, daß er sich in ihr täuschte. Eine einzige Möglichkeit, ihn ein für allemal davon zu überzeugen, daß sie keine Betrügerin war, keine Hure im purpurroten Kleid. Eine einzige.
Indem Eve sich Reno hingab, eine Wette zurückzahlte, die sie niemals hätte eingehen dürfen, und gleichzeitig ihre Zukunft noch einmal aufs Spiel setzte.
Dann wird er begreifen, daß ich nicht gelogen habe, was meine Unschuld betrifft, daß ich mein
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