Roulette des Herzens
sie im Dorf herangewachsen war, hatten sie, von Mr. Kingswood abgesehen, stets als Schwester und Vertraute betrachtet. Andere Frauen beflügelten einen Mann zur Leidenschaft und lösten Liebeskummer aus. Sie hingegen weckte bei Männern nur freundschaftliche Gefühle.
Einmal, als sie in einer der momentanen Stimmung ähnlichen Verfassung gewesen war, hatte sie sich Mr. Kingswood an den Hals geworfen. Erfüllt von der verzweifelten Sehnsucht, jemandem nahe zu sein, hatte sie ihn angefleht, sie mit den Freuden der. Liebe bekannt zu machen. Er hatte sich geweigert und sie darauf hingewiesen, dass sie nicht die Art Frau war, mit der man vor der Hochzeit schlief.
»Wir werden eines Tages heiraten«, hatte er mit zärtlichem Lächeln hinzugefügt, »sobald ich meine Mutter dazu gebracht habe, sich mit diesem Gedanken abzufinden. Lange wird das nicht dauern. In der Zwischenzeit müssen wir beide uns in Geduld üben. Du bist mir mehr wert als nur einige Stunden unerlaubten Vergnügens.«
Natürlich hatte er recht gehabt. Sara hatte sogar seine Rücksichtnahme bewundert, auch wenn sein fürsorgliches Verhalten sie nicht darüber hinweggetröstet hatte, von ihm zurückgewiesen worden zu sein. Sie ließ das seidene Tuch los, drehte sich um und sah Mr. Craven an. Sein gespannter Blick, der ihr wie immer Unbehagen erzeugte, war auf sie gerichtet.
»Was ist los?« Derek ergriff sie beim Arm. Seine Finger lagen leicht auf ihrem Kleiderärmel. »Worüber denken Sie nach?«
Sie war sehr still. Die Wärme seiner Hand drang durch den Stoff des Ärmels. Mr. Craven durfte ihr nicht so nahe sein. Er durfte sie nicht so anschauen. Nie im Leben war sie sich der Nähe eines Menschen so bewusst gewesen. Ihr kam der verrückte Gedanke, Mr. Craven habe vor, sie in die Arme zu nehmen. Flüchtig sah sie in Gedanken Mr. Kingswoods missbilligend verzogenes Gesicht. Aber falls Mr. Craven versuchte, sich Freiheiten herauszunehmen, würde niemand das erfahren. Bald würde sie ihn für immer verlassen und ihr altes Leben auf dem Land wiederaufnehmen.
Wenn sie doch nur einmal etwas erlebte, an das sie sich immer erinnern konnte!
»Vielleicht würde es Sie nicht stören, Mr. Craven, mir bei meinen Recherchen behilflich zu sein. Sie könnten etwas für mich tun.« Sie holte tief Luft und redete rasch weiten: »Wenn man in Greenwood Corners wohnt, hat man ziemlich begrenzte Erfahrungen. Ich habe ganz gewiss nie einen Mann wie Sie kennengelernt, und rechne auch nicht damit, dass es je wieder so sein wird.«
»Danke«, sagte er trocken.
»Daher dachte ich, natürlich nur im Interesse meiner Recherchen und um den Rahmen meiner Erfahrungen zu erweitern, und so weiter und so fort, dass Sie vielleicht gewillt sein könnten … das heißt, dass Sie vielleicht in Betracht ziehen würden …« Sara ballte die Hände und zwang sich, kühn zu äußern: »Mich zu küssen.«
Die Verlockung war überaus groß. Derek konnte die finsteren Gedanken, die ihm durch den Sinn gingen, nicht verdrängen. Von allen ihm bekannten Frauen hatte keine ihn so berührt wie Miss Fielding. Bei seinem rücksichtslosen Aufstieg aus der Gosse hatte er Frauen zum Vergnügen und zu seinem Vorteil ausgenutzt und war seinerseits benutzt worden. Das Spiel jedoch, dass er so gut beherrschte, war von seinen Gefährtinnen immer begriffen worden. Miss Fielding erkannte indes nicht, was er war und wie viel sie von ihm zu befürchten hatte. Er würde sie vor sich selbst beschützen müssen, und wenn das die einzige anständige Tat war, die er je im Leben beging.
Behutsam streckte er die Hand nach ihr aus und schloss sacht die Finger um ihr Kinn. Ihre Haut war weich, wie feine Seide. »Ich würde Sie nicht nur gern küssen, Miss Fielding«, erwiderte er in sprödem Ton, sah sie die Lider niederschlagen und ihre dunkelblauen Augen halb verhüllen. »Ich würde Sie gern nach oben in mein Bett bringen und Sie bis morgen bei mir behalten. Aber Sie und ich…« Er schüttelte den Kopf und lächelte freundlich. »Machen Sie Ihre sogenannten Recherchen mit Mr. Kingswood, Mäuschen.«
Er hatte sie zurückgewiesen. Vor Erniedrigung stieg Sara die Röte in die Wangen. »Ich hatte Sie nicht darum gebeten, mit mir zu schlafen«, sagte sie verkrampft, »Ich habe Sie um einen Kuss gebeten. Das war keine welterschütternde Bitte.«
Mr. Craven ließ Sara los, und sogleich schwand das Gefühl der Wärme. »Ein Kuss wäre gleichermaßen für, Sie und für mich ein Fehler«, erklärte er und
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