Roulette des Herzens
erzählen Sie mir, wie es Mr. Craven ergeht.«
Die junge Frau brauchte keine weitere Aufforderung. »Neuerdings ist er sehr gereizt. Er isst und schläft nicht und benimmt sich, als hätte er Hummeln im Hintern. Gestern ging er in die Küche und erklärte Monsieur Labarge, die Suppe hätte wie Spülwasser geschmeckt. Wirklich, Mr. Gili und Mr. Worthy hatten beide ihre liebe Not, Monsieur Labarge davon abzuhalten, Mr. Craven mit einem großen Küchenmesser den Bauch aufzuschlitzen.«
»Sind Sie hergekommen, um mir das mitzuteilen? Es tut mir leid, das zu hören, aber …« Betreten hielt Sara inne und senkte den Kopf. »Es hat nichts mit mir zu tun, wenn Mr. Craven so schlechtgelaunt ist.«
»Es hat sehr viel mit Ihnen zu tun, Miss Fielding, und niemand weiß das besser als ich.«
Sara krallte die Finger in den Stoff der Schürze. »Was meinen Sie damit?«
Tabitha beugte sich vor und raunte ihr theatralisch zu: »Vor zwei, nein, vor drei Tagen hat Mr. Craven mit mir geschlafen. Sie wissen, dass er das nie tut, mit keinem der im Haus lebenden Mädchen.«
Plötzlich war es Sara nicht mehr möglich, richtig durchzuatmen. Sie entsann sich, dass es ihr vor langer Zeit, als ihr Pferd bei einer Bewegung im Gras gescheut und sie dann abgeworfen hatte, ebenso ergangen war. Sie war auf den Bauch gefallen, hatte geächzt und keuchend nach Atem gerungen. O Gott! Wie konnte es ihr so viel bedeuten, dass Mr. Craven mit dieser Frau geschlafen hatte?
»Seine Augen waren so komisch«, fuhr Tabitha fort. »Er hatte einen Blick, als sähe er durch die Pforten der Hölle. ›Ich habe einen besonderen Wunsch‹, hat er gesagt, ›und falls du das jemandem erzählen solltest, lasse ich dich windelweich prügeln.‹ Also habe ich versprochen, kein Sterbenswörtchen auszuplaudern. Und dann…«
»Nein!« unterbrach Sara. Sie hatte das Gefühl, in Stücke zu zerbrechen, falls sie auch nur noch ein Wort hörte.
»Erzählen Sie mir nichts. Ich will nichts hören.«
»Es betrifft Sie, Miss Fielding.«
»Mich?« fragte Sara matt.
»Er kam zu mir ins Bett und warnte mich, nichts zu sagen, ganz gleich, was er täte. Dann drehte er die Lampe herunter und drückte mich an sich.« Tabitha wandte den Blick ab. Sara fühlte sich wie erstarrt. »›Lass mich dich halten, Sara‹, hat er gesagt. ›Ich brauche dich, Sara.‹ Die ganze Nacht hat er so getan, als sei ich Sie. Das liegt daran, weil Sie und ich uns ähnlich sehen. Deshalb hat er das getan.« Unbehaglich zuckte Tabitha mit den Achseln. »Er war sehr sanft und süß dabei. Morgens ist er wortlos verschwunden, aber er hatte noch immer diesen grässlichen Ausdruck in den Augen.«
»Halt!« sagte Sara scharf. Ihr Gesicht war aschfahl, »Sie hätten nicht herkommen dürfen. Sie hatten nicht das Recht, mir das zu erzählen.«
Statt durch Miss Fieldings Ausbruch gekränkt zu sein, setzte Tabitha eine mitleidige Miene auf. »Ich habe zu mir gesagt, dass es niemandem schaden kann, wenn ich es Ihnen erzähle. Sie haben das Recht, das zu wissen. Mr. Craven liebt Sie, Miss Fielding, so wie er nie jemanden in seinem verdammten Leben geliebt hat. Er meint, Sie seien zu gut für ihn. Er hält Sie für einen Engel. Und das sind Sie. Das ist die reine Wahrheit.« Ernst sah Tabitha Miss Fielding an. »Wenn Sie bloß wüssten, Miss Fielding wie man sagt.«
»Das weiß ich«, erwiderte Sara gepresst. »Aber es gibt Dinge, die Sie nicht verstehen. Ich bin mit einem anderen verlobt, und selbst wenn ich das nicht wäre …« Abrupt hielt sie inne. Es bestand keine Notwendigkeit, dieser Frau ihre Gefühle zu erläutern oder laut über Mr. Craven, nachzudenken. Das war sinnlos, ganz zu schweigen davon, dass es schmerzlich gewesen wäre.
»Dann werden Sie nicht zu ihm fahren?«
Sara musste über die Verwirrung der Kokotte lächeln, obwohl sie sich elend fühlte. Wie die anderen Halbseidenen im Club war auch Miss Tabitha ungemein stolz auf Mr. Craven und empfand einen gewissen Beschützerinstinkt für ihn, ganz so, als sei er ein besonders geliebter Onkel oder ein großzügiger Wohltäter. Wenn er etwas haben wollte oder ihm etwas Freude machen würde, stand es außer Frage, dass er es haben sollte.
Hölzern stand Sara auf und ging zur Tür »Ich weiß, dass Sie in guter Absicht hergekommen sind, Miss Tabitha, aber nun müssen Sie gehen. Es tut mir leid.« Das waren klare Worte, zu denen sie sich hatte durchringen können. O Gott! Es taten ihr Dinge leid, die sie nicht einmal benennen oder
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