Rousseau's Bekenntnisse
gefallen mich bestrebt und ziemlich regelmäßig die Aufwartung gemacht hatte, war mir unbegreiflich. Gauffecourt erklärte mir die Gründe. »Sie bestehen erstlich,« sagte er, »in ihrer Freundschaft für Rameau, dessen anerkannte Beschützerin sie ist und der keinen Nebenbuhler dulden will, und dann vor allem in einer Erbsünde, die Sie in ihren Augen verdammenswerth erscheinen läßt und die sie Ihnen nie verzeihen wird, nämlich, daß sie ein Genfer sind.« Darauf setzte er mir auseinander, daß der Abbé Hubert, ebenfalls ein Genfer und ein aufrichtiger Freund des Herrn De la Poplinière, sich bemüht, ihn von der Verheirathung mit dieser Frau, die er genau kannte, zurückzubringen, und sie deshalb nach der Heirath ihm wie allen Genfern einen unversöhnlichen Haß gelobt hätte. »Obgleich,« fügte er hinzu, »Herr De la Poplinière Sie lieb gewonnen hat, wie ich bestimmt weiß, so verlassen Sie sich doch nicht auf seinen Beistand. Er ist in seine Frau verliebt; sie haßt Sie, ist bösartig und listig: in diesem Hause werden Sie nie etwas ausrichten.« Ich ließ es mir gesagt sein.
Der nämliche Gauffecourt erwies mir ungefähr um dieselbe Zeit einen großen Liebesdienst. Ich hatte meinen tugendhaften Vater, der etwa sechzig Jahre alt geworden war, vor Kurzem verloren. Ich fühlte diesen Verlust weniger, als es zu einer andern Zeit der Fall gewesen wäre, wo mich die Verlegenheiten meiner Lage weniger beschäftigt hätten. Bei seinen Lebzeiten hatte ich die Auszahlung meines mütterlichen Erbtheiles, dessen geringen Zinsenertrag er für sich verwandte, nicht verlangt; nach seinem Tode hatte ich darüber keine Bedenklichkeiten mehr. Aber der Mangel an gerichtlichen Beweisen vom Tode meines Bruders machte eine Schwierigkeit, die Gauffecourt zu heben übernahm und durch die Vermittelung des Advocaten de Lolme auch wirklich hob. Da ich diese kleine Summe äußerst nöthig brauchte und die Eintreibung zweifelhaft war, so erwartete ich die entscheidende Nachricht darüber mit der lebhaftesten Ungeduld. Als ich eines Abends nach Hause kam, fand ich den Brief, der diese Nachricht enthalten mußte, und nahm ihn, um ihn zu öffnen, mit einem Zittern von Ungeduld, deren ich mich innerlich schämte. »Ach was,« sagte ich verächtlich zu mir, »sollte sich Jean-Jacques bis zu dem Grade von Eigennutz und Neugier unterjochen lassen?« Ich legte ihn auf der Stelle wieder auf den Kamin, entkleidete mich, legte mich ruhig zu Bett, schlief besser als gewöhnlich und erhob mich am folgenden Tage erst ziemlich spät, ohne weiter an meinen Brief zu denken. Beim Anziehen bemerkte ich ihn; ich öffnete ihn ohne Eile und fand einen Wechsel darin. Mehrerlei machte mir dabei Freude, aber ich kann schwören, daß ich mich am lebhaftesten darüber freute, mich besiegt zu haben. Zwanzig ähnliche Züge würde ich aus meinem Leben noch zu erzählen haben, aber ich habe es zu eilig, um alles berichten zu können. Einen kleinen Theil dieses Geldes schickte ich meiner armen Mama, wobei ich mit Thränen die glückliche Zeit zurückersehnte, wo ich ihr die ganze Summe zu Füßen gelegt hätte. Aus allen ihren Briefen ging ihre Noth hervor. Sie schickte mir Haufen von Recepten und Geheimmitteln, mit denen ich, wie sie behauptete, mein und ihr Glück machen könnte. Schon schnürte ihr das Gefühl ihres Elendes das Herz zusammen und machte ihren Geist beschränkter. Das Wenige, was ich ihr sandte, wurde die Beute der Schufte, die sich um sie drängten. Sie hatte keinen Nutzen davon. Das benahm mir die Lust, meine schon an sich dürftigen Mittel noch mit diesen Elenden zu theilen, zumal nach dem vergeblichen Versuche, den ich, wie ich später erzählen werde, machte, sie ihnen zu entreißen.
Die Zeit verging und das Geld mit ihr. Wir waren unser zwei, sogar vier, oder genau genommen, waren wir unser sieben oder acht; denn obgleich Therese von einer Uneigennützigkeit war, der sich wenige Beispiele zur Seite stellen lassen, so war doch ihre Mutter nicht wie sie. Sobald sie sich durch mich wieder mit dem Nöthigsten versehen sah, ließ sie ihre ganze Familie kommen, um, was für sie abgefallen war, mit ihr zu theilen. Schwestern, Söhne, Töchter, Enkelinnen, alles kam mit Ausnahme ihrer ältesten Tochter, die mit dem Vorsteher der Wagenfabrik zu Angers verheirathet war. Alles, was ich für Therese that, wurde ihr von ihrer Mutter für diese Hungerleider entzogen. Da ich es nicht mit einer habgierigen Person zu thun hatte und nicht unter der
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