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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Seligmann
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kein Goj wie Kraxä, sondern der Jid Rubinstein. »Wann darf ich dich wiedersehen?« Falsch, du hättest ihr einen Termin vorschlagen sollen.
    »Am Wochenende könnte ich es einrichten.«
    »Gut, und wo?« Es klappt also doch.
    »Was hältst du davon, wenn wir uns wieder an der gleichen Stelle treffen, also hier.«
    »Und wann ist es dir recht?«
    »So Samstag, gegen Mittag?«
    »Fein, ich werde Samstag um zwölf hier sein.«
    »Schön, ich freue mich schon.« Das merkt man deinen Puppenaugen auch an.
    Die erste sympathische deutsche Frau, die du ansprichst, verabredet sich mit dir. Aber wird sie auch kommen? Sieht sie aus wie eine Lügnerin? Na also. Ich blicke sie nochmals an.
    »Auf Wiedersehen, bis Samstag. Ich freue mich auch.«

DER MITLÄUFER
    Mein Gott. Mussten die Typen im Kultusministerium das allerbanalste und heuchlerischste Thema als Abi-Aufsatz stellen, das sich denken lässt? »Olympia 1972. Herausforderung und Gelegenheit«. Du hast doch auch dieses Thema gewählt. Was ist mir schon übriggeblieben? Ein Gedicht von Ricarda Huch zu »interpretieren« oder irgendeinen Käse von Ingeborg Bachmann zu »erörtern«, den ich nie gelesen habe? Ich musste also die »Herausforderung« annehmen.
    Ich, der Jude Jonathan Rubinstein, gebe mich freiwillig dazu her, zu »beweisen«, zu bescheißen, dass dieser neue demokratische Staat und seine tolerante Gesellschaft die Welt vom humanen deutschen Wesen überzeugen werden – an dem sie bereits zweimal beinahe erstickt ist. Die Kerle brauchen Schmeicheleinheiten. Da niemand anderer bereit ist, sie ihnen zu geben, zwingen sie den eigenen Nachwuchs dazu. Ist ja alles verständlich. Aber was tu ich dabei? Weshalb gebe ich mich dazu her, bei dieser kümmerlichen Selbstbefriedigung mitzumachen?
    Rubinstein, zermartere dich nicht mit Selbstvorwürfen. Jetzt geht es nur um dich. Du musst das Scheißabi machen,koste es, was es wolle. Also musstest du in Deutsch ein Thema wählen, das du einigermaßen bewältigen kannst. Wenigstens technisch. Technisch bewältigen! Deine deutschen Mitbürger haben schon genug »technisch bewältigt«, unter anderem fast das gesamte europäische Judentum. Ja, deine deutschen Landsleute. Du sprichst ihre Sprache, lebst in ihrem Land und in ihrer Kultur, teilst ihre Staatsbürgerschaft – und auch ihren Opportunismus. Das Erschreckende an den Hitlerjahren waren ja nicht nur die Endlöser. Wie viele werden es schon gewesen sein? 10   000 Mann vielleicht.
    Zehntausend von 80 Millionen. Das heißt, 99,99 Prozent der Deutschen haben sich nicht direkt an der Judenermordung beteiligt. Die meisten werden sie trotz eines »gesunden« Antisemitismus sogar abgelehnt haben.
    Dagegen unternommen hat aber fast niemand etwas, obwohl fast jeder wusste, was los war.
    Du teilst eine weitere Eigenschaft mit deinen deutschen Landsleuten: ihren Masochismus, ihr schlechtes Gewissen nach der Tat. Gewiss, was die Kerle mit den Juden gemacht haben, war einmalig. Aber die Türken haben den Armeniern Ähnliches angetan und die Japaner den Chinesen. Doch keiner hat sich nach vollbrachter Tat so zerknirscht gegeben wie die Deutschen. Und die Mimose Rubinstein ist sogar schon vor der Tat zerknirscht. »Tat« – was tust du schon Schlimmes? Du schreibst einen opportunistischen Aufsatz. Na und? Das haben unzählige Schüler auf der ganzen Welt schon vor dir gemacht. Musst du dich deshalb gleich mit den Nazis vergleichen?
    Scheiße! Ich vergleiche mich ja gar nicht mit den Nazis,sondern mit ihren widerlichen Mitläufern. Dass Millionen Schüler ebenfalls opportunistische Aufsätze geschrieben haben, ist ein schwacher Trost. Denn genau diese Typen wurden später Mitläufer.
    Genug, Rubinstein! Du wirst jetzt schleunigst aufzeigen, dass an die Stelle des Hitler-Regimes ein demokratisches Deutschland getreten ist. Womit die Herausforderung der Olympischen Spiele bewältigt wäre – und mein Deutschabitur.

ANDERS?
    Das darf doch nicht wahr sein? Ich warte zwei Tage lang wie ein Vergifteter darauf, sie wiederzusehen, zermartere mir den Kopf, ob ich ihr Blümchen mitbringen soll oder nicht, ob ich zu spät oder zu früh auftauchen soll, und sie schleppt ihre Freundin mit. Unseren Mädchen würde so etwas nie einfallen. Die kommen allein oder gar nicht.
    Am liebsten würde ich wieder abhauen. Spiel nicht die beleidigte Leberwurst, das bringt überhaupt nichts! Mach das Beste aus der Situation. »Grüß dich. Na, wie geht’s dir?«
    »Prima. Und wie war’s gestern im

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