Rubinsteins Versteigerung
könnten Sie vielleicht einige Minuten auf mein Zeug aufpassen, ich bin gleich wieder da.«
»Sicher.« Gott sei Dank, es ist die Nette. Ihre Augen lächeln ironisch. Wahrscheinlich amüsiert sie sich über meine Schüchternheit.
»Danke, ich bin gleich wieder da.« Meine Stimme ist belegt.
»Ja, tschüss, bis gleich.«
»Bis gleich«, also war es ihr gar nicht so unrecht, dass ich sie angequatscht habe. Und ich Idiot hab mich noch nie getraut, eine Frau einfach so anzusprechen – ist doch eigentlich ganz leicht. Ich drehe mich um und gehe in Richtung Turm. Wie lange soll ich eigentlich fortbleiben? Fünf Minuten? Zu kurz. Zehn? Eine Viertelstunde wäre wohl richtig. Was tu ich inzwischen? Was denn wohl? Als Erstes pinkeln. Dann gehst du zum Chinesischen Turm, drehst eine Runde zum Monopteros, und schon ist die Zeit um.Ob die überhaupt noch eine Viertelstunde bleiben? Verrückter! Wenn nicht, hätten sie es dir bestimmt gesagt. Also los: pinkeln und spazieren!
Sie sind immer noch da! Am besten gehe ich jetzt zunächst zu meinem Platz, später kann ich mich dann bei ihnen bedanken. Bist du vor lauter Schüchternheit vollkommen meschugge geworden? Jetzt gehst du zu ihnen!
»Danke schön.«
»Gern geschehen.«
Wieder antwortet sie – und freundlich. Los, sag was! »Sind Sie öfters hier im Englischen Garten?« Wahnsinnig originell!
»Hin und wieder, bei schönem Wetter.«
»Ja. Man hat viel Platz hier.« Sag endlich was einigermaßen Vernünftiges! »Studieren Sie?«
»Nein, wieso?«
»Weil Sie englische Bücher mit sich rumschleppen.«
»Nein, aber ich will ab Herbst in die Fachoberschule, und da dachte ich mir, es wäre nicht schlecht, ein wenig mein Schulenglisch aufzupolieren.«
»Gute Idee. Hätte ich auch tun sollen. Aber bei mir ist es jetzt fast zu spät. Ich mache ab morgen mein Abi.«
»Klasse, dann wünsche ich dir viel Erfolg.«
»Danke.« Sie hat mich geduzt. Sie quatscht mit mir, und ihre Freundin hält das Maul – was willst du mehr? Bleib am Ball!
»Wenn du auf die Fachoberschule gehst, dann wirst du ja auch bald das Abi machen.«
»Da mach ich mir noch keine großen Gedanken. Ich will erst mal mit meiner langweiligen Arbeit aufhören.«
Was heißt, »da mach ich mir keine großen Gedanken«? Jedes jüdische Mädchen ist fest davon überzeugt, den wichtigsten Beruf der Welt auszuüben, egal, was sie tut. Jedenfalls versteht sie es, dies allen weiszumachen. Und diese Aufgabe opfert sie blutenden Herzens nur, um eine jüdische Familie zu gründen.
»Was machst du denn für eine Arbeit?«
»Ach, ich jobbe bei einer Bank.«
»Und was willst du nach deiner Fachoberschule tun?«
»Weiß ich wirklich nicht so genau.«
»Aber wenn du diese Schule machst, wirst du doch irgendeine Absicht, irgendein Ziel haben.«
»Ja, irgendwas Soziales.« Verstehe – kein Tacheles.
Sie ist während meiner Fragerei ernst geworden. Mit einem Mal hellt sich ihre Miene wieder auf: »Und was willst du nach dem Abi machen?«
»Ja, weißt du – bei mir ist es komisch. Bis vor ein paar Wochen wollte ich noch nach Israel gehen – ich bin nämlich Jude. Und dort hätte ich erst mal drei Jahre zum Militär gemusst. Aber jetzt ist mein Vater krank geworden, und da werde ich wohl noch eine ganze Weile hierbleiben müssen.«
»Gefällt es dir nicht in Deutschland?«
»Ja, wie soll ich es sagen«, dass es ein Scheißland ist? »Es gibt hier einiges, was mir nicht gefällt. Und in Israel, da kann man noch seine Ideale durchsetzen.«
»Aber das kann man doch hier auch.«
»Wo denn?«
»Überall. In Krankenhäusern, in Pflegestätten, in Schulen.«
Ihre Naivität möchte ich haben. »Vielleicht hast du recht, ganz sicher sogar. Aber als Pädagoge bin ich ungeeignet.«
»Ich weiß auch nicht, ob ich als Lehrerin etwas tauge. Aber ich könnte es ja mal versuchen, nicht?«
Im Gegensatz zu unseren Mädchen hat sie noch nicht den Stein der Weisen gefunden. »Wie heißt du denn?«
»Susanne. Und du?«
»Jonathan.«
»Das ist aber ein schöner Name.«
»Es ist ein hebräischer Name. Auf Deutsch klingt es wesentlich simpler: Hans.«
»Wusste ich noch gar nicht.« Sie strahlt wieder. Los, verabrede dich mit ihr.
»Ich würde dich gern noch mal treffen und mich mit dir unterhalten. Aber jetzt muss ich nach Hause, denn meine Mutter wartet schon mit dem Essen.«
Genau! Die wartende Mamme wäre sicher auch für einen Kerl wie Kraxä ein triftiger Grund, eine Frau sitzenzulassen. Was soll ich tun? Ich bin eben
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