Rubinsteins Versteigerung
Abitur?«
»Mäßig. Wir hatten ein idiotisches Thema: Olympia 1972. Man sollte wohl schreiben, wie toll alles wird.«
Wieder dieses sanfte Grinsen. »Mensch, das muss langweilig sein.«
»Exakt.« Vielleicht rede ich anstandshalber ein Wort mit ihrer Freundin? »Grüß dich. Wie heißt du?«
»Angelika.« So sieht sie auch aus!
»Sag mal, Susanne, was hältst du von einem Spaziergang zum Kleinhesseloher See?«
»Eigentlich gern, Jonathan, aber Angelika und ich sind bei unseren Vermietern eingeladen, und da soll es nicht zu spät werden.«
Was soll denn das schon wieder? Zuerst schleppt sie die Freundin an, jetzt hat sie keine Zeit. »Wann musst du denn gehen?«
»Ich fürchte, schon bald.« Sie sieht mich von der Seite skeptisch an. »Es tut mir leid. Ich habe mich wirklich gefreut, dich wiederzusehen, ehrlich. Aber dann haben uns die Webers für heute zum Mittagessen eingeladen. Die fahren nämlich heute Nachmittag weg und haben uns gebeten, auf Stefan, ihren Sohn, aufzupassen.«
Das heißt, dass sie am Wochenende mit Babysitten beschäftigt ist. Scheiße! Fluch nicht, versuch’s dennoch. »Ich möchte dich trotzdem gern sehen.«
»Sicher, ich auch.«
Mach gleich einen konkreten Vorschlag: »Was hältst du von heute Abend?«
»Gern, aber wir müssen doch auf den Stefan aufpassen. Hast du nicht Lust vorbeizukommen? Wir wohnen in der Thierschstraße.«
Dann darf ich den ganzen Abend mit ihrer Freundin verbringen. »Ihr werdet doch nicht zu zweit auf das Kind aufpassen müssen. Genügt es nicht, wenn Angelika bei ihm bleibt? Ich hol dich ab, wenn der Kleine eingeschlafen ist.«
»Wohin willst du denn?«
Na also! »Was hältst du von einem kleinen Schwabing-Bummel?«
»Lust hätte ich schon.« Ihre Augen strahlen. Oder kommt es mir nur so vor?
»Sag mal, Angelika, könntest du heute Abend auf Stefan aufpassen?«
»Ich weiß nicht.«
Wenn sie bis jetzt noch keinen Deppen aufgetrieben hat, der mit ihr samstags abends wegwill, wird sie ihn auch heute Nachmittag nicht mehr finden. »Ich glaube, das wird schon irgendwie klappen. Was hältst du davon, wenn ich dich gegen halb neun abhole? Wenn irgendetwas dazwischenkommt, können wir immer noch weitersehen.«
»Gut.« Ihre Stimme klingt ein wenig gepresst, so sieht sie mich auch an. Ich habe sie überrumpelt. Na und? Sonst würde sie den ganzen Abend mit ihrer Freundin zu Hause sitzen. Jetzt bleib dran: »Was haltet ihr von einer kleinen Runde: Chinesischer Turm – Haus der Kunst, von dort ist es für euch nicht mehr weit zur Thierschstraße.«
»Prima.« Ihre Augen leuchten wieder – sie stapft sofort los. Ich ziehe mit. Angelika zuckelt hinterher.
Weshalb hat sie sie nur mitgenommen? Kann es sein, dass sie sich nicht sicher war, ob ich kommen würde, und dann nicht allein dastehen wollte? Philosophiere nicht, quassle mit ihr. »Na, hast du inzwischen fleißig in deinen englischen Büchern gelesen?«
»Kaum. Donnerstag habe ich noch gefaulenzt und gestern gearbeitet. Ich beneide dich richtig, dass du noch zur Schule gehst. Aber jetzt bist du ja damit fertig.« Sie sieht mich halb lächelnd, halb grinsend an. »Und was wirst du jetzt tun?«
»Gute Frage. Ich weiß noch keine Antwort. Erst malausgiebig Ferien machen. Vielleicht fällt mir dabei was Vernünftiges ein.«
»Das finde ich gut, dass du dich nicht von vornherein festlegst.« Jede jüdische Frau wäre hellauf entsetzt – und sie findet’s gut. Es ist trotzdem alles Mist. Statt mit ihr hier auf einer Wiese unter dem knallig blauen Münchner Föhnhimmel zu liegen und zu knutschen, führe ich ein scheinintellektuelles Gequatsche, was wäre wenn, falls und so weiter und so fort. Gemach, Reb Jid! Bis jetzt läuft alles hervorragend. Du wirst sie heute Abend sehen, wahrscheinlich sogar allein. Sie mag dich, der Rest ist Routine. Jetzt hast du vor lauter spitzfindigem Überlegen fast das Entscheidende vergessen: »Wo wohnt ihr in der Thierschstraße?«
»In Nummer 46. Wieso?«
»Damit ich weiß, wo ich dich heute um halb neun abholen soll.«
Wieder dieser gequälte Blick. »Ich weiß doch noch nicht, ob es überhaupt klappen wird mit heute Abend.«
»Es wird, es wird.«
»Übrigens, du musst bei Weber läuten.«
»Weiß ich.«
»Woher?«
»Na, du hast doch erzählt, dass Familie Weber euch zum Mittagessen eingeladen hat.«
»Ach so, Mensch, bin ich doof.«
»Also dann, bis später.«
»Ja, bis später, Jonathan.«
»Esel, ich nehme heute Abend den Wagen.«
»Kommt nicht in
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