Rubinsteins Versteigerung
ausgerottet hat, muss die Deutschen um Gnade bitten, weil mein Sohn zu faul zum Lernen war. Und jetzt bist du sogar zu feige, dich um die Folgen zu kümmern. Dir ist es wohl lieber, wenn du durchfällst und alles zum Teufel geht, wofür du und deine Eltern seit 14 Jahren geschuftet haben? Wenn du Angst hast, dann geh aus dem Zimmer, während ich mit deinem Direktor telefoniere. Wenn es nur nicht zu spät ist – durch deine Feigheit!« Ihr Gesicht hat sich gerötet. Sie und ihresgleichenhaben das Judentum mit unzerstörbarer Vitalität und Unerschrockenheit über Jahrtausende am Leben erhalten – nicht die vielgerühmten Rabbiner und Talmudgelehrten. Der Preis war die Kastration der Väter und Söhne.
Schon ist Esel am Telefon, sucht die Nummer in ihrem Notizbuch und wählt. »Geben Sie mir bitte Herrn Dr. Koch. Mein Name ist Rubinstein.« Sie bleibt ruhig. »Ja, Herr Dr. Koch, grüß Gott. Ich wollte Sie fragen … Vielen Dank. Danke … Nochmals vielen Dank. Sie wissen gar nicht, welche Freude Sie uns damit machen … Natürlich werde ich das niemandem sagen … Gut. Alles Gute und nochmals vielen herzlichen Dank. Auf Wiedersehen.«
Verdammte Scheiße! Möglicherweise war der Koch vor dreißig Jahren SS-Mann und hat ihre Familie umgenietet. Oder sein Bruder oder sein Vater oder sein Onkel oder sein Freund. Irgendjemand muss es doch getan haben! Und wegen mir musste Esel anrufen und »Vielen Dank, vielen Dank, nochmals vielen Dank« sagen. Für was? Für gar nichts! Und das alles nur, weil ich zu faul war, ein bisschen zu lernen, und mir anschließend vor Angst ins Hemd geschissen habe.
»Das wird die beste Medizin für Vater sein, wenn er Ende der Woche aus dem Krankenhaus kommt.«
Ich würde am liebsten losheulen. Aber seit meinem Geschluchze in der Schule kann ich nicht mehr weinen – auch wenn ich es will. Ich muss jetzt raus. Auf die Straße, an die Isar oder zum Teufel – Hauptsache raus. »Esel, sei nicht böse, aber ich muss jetzt allein sein.«
»Ich verstehe dich, mein Kind.«
IMPOTENT
»Du bist heute vielleicht ausgelassen, Jonathan.« Susanne schüttelt mit gespielter Entrüstung ihren Kopf. »Ja, seit drei Tagen weiß ich, dass ich das Abi geschafft habe, gestern ist mein Vater aus dem Krankenhaus rausgekommen, und heute ist meine Mutter zur Kur gefahren – lauter gute Sachen. Und dich sehe ich endlich auch wieder.«
»Das ist sicher die Hauptsache.« Sie lacht.
»Du weißt genau, dass ich mich irre freue, dich wiederzusehen.«
»Ich auch. Und was machen wir jetzt, Jonathan Rubinstein?«
»Was halten Sie von einem gepflegten Essen, Frau Andreesen?«
»Au fein.«
»Gut, gehen wir.«
»Und wohin?«
»Zu uns.«
»Aber dein Vater ist doch erst aus dem Krankenhaus gekommen. Der braucht sicher viel Ruhe.«
»Ruhe hat er dort schon genug gehabt. Der freut sich bestimmt, dich zu sehen.«
»Meinst du?«
»Da bin ich mir ganz sicher.«
»Gut. Vielleicht kann ich ihm ein wenig helfen … Wo wohnt ihr übrigens?«
»Gleich um die Ecke, komm.«
»Fred, darf ich dir Susanne Andreesen vorstellen?«
»Angenehm, Sie kennenzulernen.«
»Vielen Dank. Ich hoffe, wir machen Ihnen nicht allzu viel Umstände, Herr Rubinstein.«
»Ganz und gar nicht. Ich freue mich sehr, eine so schöne Frau in meinem Haus begrüßen zu dürfen.« Eine leichte Röte überzieht Freds blasses Gesicht. So kenne ich ihn gar nicht, Esel wohl auch nicht. »Nehmen Sie bitte Platz. In einigen Minuten gibt es Essen. Hoffentlich mögen Sie es. Zuerst eine Kraftbrühe und danach ein Wiener Schnitzel mit Kartoffeln.« Endlich keine Vögel mehr.
»Ja, sicher. Kann ich Ihnen ein wenig in der Küche oder beim Auftragen helfen, Herr Rubinstein?«
»Bitte nicht. Ich bin so froh, dass ich wieder etwas Nützliches tun kann und dass ich mich nicht dauernd bedienen lassen muss.« Der Bursche ist wirklich rührend – wenn er nicht geeselt wird.
»Es hat ganz vorzüglich geschmeckt, Herr Rubinstein. Wo haben Sie so gut kochen gelernt?«
»Danke, Sie wollen mir schmeicheln.«
»Überhaupt nicht. So, und jetzt bleiben Sie sitzen, ich räume das Geschirr ab.«
»Das ist nicht nötig.«
»Doch, doch. Jonathan hat mir erzählt, dass Sie sich noch schonen müssen.«
»Gut, ich werde mich nach dem Essen ein wenig hinlegen.«
»Jonathan, magst du mir nicht beim Abspülen helfen?«
Komisch. Das erste Mal, dass ich so was mache. Ich wärenie auf den Gedanken gekommen – und wenn, Esel hätte mir nie erlaubt, in ihr »Reich«
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