Ruby und Niall
finden", sagte Cotton, der dritte Mitbewohner, der wirklich seine Hemden mit der flachen Hand bügeln konnte, "wir haben das tropfende Wasser erst nach dem frostfreien Tag bemerkt. Möchte wetten, auf dem Dachboden hat sich eine Eisscholle gebildet, die uns im Frühjahr die Wände herunterläuft."
Der vierte Mitbewohner, Luke, Fernstudent aus Vermont, war gerade mit seinem Bruder unterwegs. Er behauptete von sich Künstler zu sein, aber mehr als Graffitis würde er nie zustande bringen, wenn er sich nicht endlich aus der Illegalität befreite. Für seine Aktionen musste er weit wegfahren, denn in Winslow wäre er sofort verhaftet worden. Jeder kannte ihn und seinen Bruder und sein Sortiment an Sprühdosen.
Ethan hatte bereits die zweite Weinflasche geöffnet und saß auf der Arbeitsplatte der Küchenzeile. Die anderen hatten sich um den dunklen Holztisch versammelt, bedienten sich am gerösteten Brot und Kartoffelchips. Am Fenster, das zur schaurigen Seitenstraße rausging und deshalb mit einem klein geblümten Vorhangstoff von der Decke bis zum Fenstersims verhängt war, saß Niall und spielte abwesend mit einem Obstmesser. Er folgte der lebhaften Diskussion, hatte das geschiente Bein durch die Querstrebe der Krücke gesteckt. Ohne Eisbärenfell hätte Ruby ihn fast nicht erkannt, sie war erstaunt, ihn hier in der WG wiederzusehen und da erst fiel ihr ein, dass der Eisbärenmann am Freitag nicht im Busbahnhof gewesen war. Sie zog sich einen der Küchenhocker heran, setzte sich zu ihm und betrachtete ihn kritisch. Als sie ihm ein Wasserglas mit Wein durchreichte, sagte sie: "Du solltest diesen Bart loswerden."
"Und du solltest dein Haar wachsen lassen", erwiderte Niall.
"Wo ist dein Bärenfell geblieben?"
Niall nickte zum Mexikaner hinüber.
"Er hat das verdammte Ding gekauft."
Im Hintergrund debattierte die kleine Gruppe über das marode Dach. Julianne mischte sich besonders heftig ein, obwohl sie überhaupt nicht in dem Haus wohnte. Ruby rief: "Was stellst du mit dem Fell an, Mex?"
"Keine Ahnung, aber das Teil ist der Hammer."
"Wo hat du das Kostüm her? Waren da auch Ohren oben am Kopfteil?"
"Ich hab gedacht, es wäre ein Mantel", sagte Niall.
"Hmh?"
"Ich musste was gegen die Kälte mitnehmen und hab im Dunkeln gedacht, es wär ein Mantel. Es war aber das Kostüm der bärtigen Frau."
"Oh", rief Ruby, "die Wanderausstellung."
Niall war es peinlich, dass sie so schnell darauf gekommen war.
"Hätte ich mir denken können, dass du aus einer Schaustellerfamilie bist. Du sprichst so komisch."
Ruby holte einen Teller mit gerösteten Brotscheiben, obwohl sie wusste, dass man diese halb verbrannten Dinger nicht essen und sich gleichzeitig unterhalten konnte. Sie krachten im Mund und krümelten beim Sprechen.
"Hast du Lust nachher mitzukommen? Wir gehen was trinken in der Bar um die Ecke."
"Ich hab nichts anderes vor."
Niall hütete sich, sie darüber aufzuklären, dass er nicht aus einer Schaustellerfamilie stammte. Wohlmöglich hätte sie dann gefragt, wo er seinen albernen Akzent sonst herhatte. Als er merkte, dass sie seine Finger und das Obstmesser beobachtete, legte er es beiseite und nahm sich ebenfalls ein Stück Brot. Er hatte ordentlich gegessen, geduscht und trug geliehene Klamotten von Sprayer-Luke, also sprach nichts gegen einen Bar-Besuch.
Die Truppe brach vor der dritten Weinflasche auf, in einem lauten gemeinsamen Gewühle nach Jacken und Mäntel, der Mexikaner trug eine orange-rote Signaljacke, die entweder von einer Bohrinsel oder von der letzten Treibjagd stammte, rief, er würde Niall und die Mädchen im Auto mitnehmen, damit sie nicht noch später ankamen.
"Du mit der Krücke", sagte er, deutete auf Niall, "und die Mädchen finden sonst an jedem Schaufenster einen Grund, um dort kleben zu bleiben."
Das Auto parkte hinter dem Haus und als Niall sich den Schrotthaufen im schwachen Licht betrachtete, dachte er, dass das mit Abstand das schrägste Auto war, was er seit Langem zu Gesicht bekommen hatte. Es war ein offener Pick-up Truck mit Gerümpel auf der Ladefläche, der Wagen bestand zu hundert Prozent aus Rost und Isotape. Auf der Ladefläche lagen zersägte Bretter, Werkzeug und eine halbe verrostete Schubkarre ohne Rad, alles ungesichert.
"Bei 'ner Vollbremsung fliegt uns das alles um die Ohren", sagte Niall. Der linke Kotflügel des Pick-ups fehlte, die Motorhaube war eingedellt und halb weggerostet, deshalb war sie mit Stricken und langen Kabelbindern an der Stoßstange befestigt.
"Schmeiß
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