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Ruby und Niall

Ruby und Niall

Titel: Ruby und Niall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Recht
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Niall schob es auf den Bart, der noch immer in seinem Gesicht wucherte.
Wieder zurück in der Talbot Street, war er froh, als er endlich auf der Couch im Flur lag. Als er sich unter die Decken wühlte, entdeckte er beiläufig, dass das Bärenfell verschwunden war. Er fragte sich, an wen der Mexikaner es verkauft haben könnte. Vielleicht würde es über Umwege wieder zurück zur bärtigen Frau finden.

Niall schlief ein und träumte von seiner Heimat, von den munteren und dreckigen Seitenstraßen, in denen die wöchentlichen Wochenmärkte abgehalten wurden, wo man die Nachbarn traf, mit denen man seit dreißig Jahren in der selben Siedlung wohnte, wo in den alten Gemäuern und Kopfsteinpflastern die Geschichte lebendig blieb. Wo man sich dagegen wehrte, restauriert und teuer verkauft zu werden. Wo die IRA sich ganz persönlich um die Drogendealer gekümmert hatte, bis sie selbst in das lukrative Geschäft eingestiegen war.
Er wachte auf und wusste für einen Moment nicht, wo er war. In dem Flur war es stockdunkel, es roch nach nassen Jacken, die im Eingangsbereich hingen und in der Küche musste noch irgendein Eintopf auf dem Herd stehen. Aus Mex' Zimmer dröhnte ein aufgedrehtes Radio mit Hilly-Billy-Musik.

    Ich muss nach Boston
, dachte Niall,
    ich kann es nicht länger vor mich herschieben. Vielleicht schicken sie mich nach Hause, vielleicht bekomme ich aber auch eine zweite Chance.

Aufbruch

Niall stand am frühen Morgen zum Pinkeln auf, lief die kurze Strecke bis zur Toilette ohne Krücke. Wenn er es langsam angehen ließ, würde er in ein oder zwei Wochen den Gips gegen einen festen Verband eintauschen und danach den Fuß wieder vorsichtig belasten. Das würde er durchziehen, egal, was irgendein Arzt dazu sagte.
Er plante seine Abreise für die nächsten Tage, und er hoffte, dass das Wetter ihm entgegenkommen würde. Bei Schneesturm würde er nicht losziehen und sich an die Straßenecke zum Trampen hinstellen.
Und er war sich nicht sicher, wann er es Ruby und den anderen erzählen sollte. Sie waren zwar noch immer halbe Fremde, aber auch gute Freunde. Und Ruby war noch ein wenig mehr als das. Er würde es ihr nie sagen, niemals so direkt, solange sie selbst keine Anstalten machte, ihre Freundschaft als etwas anderes zu sehen als so etwas wie ein lockeres Verhältnis.
Ich werde es ihr zuerst sagen, dachte er, und ich werde ihre Fragen beantworten, falls sie welche stellt.

Er duschte schnell, den Gips in einer Plastiktüte eingepackt, frühstückte dann mit Cotton und dem Mexikaner, die beide aussahen, als hätten sie drei Wochen durchgemacht, und diesmal trank er keinen Tee, sondern Kaffee. Allerdings verdünnte er ihn mit so viel Milch, dass er kaum noch nach Kaffee schmeckte.
Nach dem Frühstück blieben sie in der Küche sitzen, rauchten, holten sich Reste aus dem Kühlschrank und sprachen darüber, dass es im ganzen Haus nach Terpentin stank, wenn Luke von seinen nächtlichen Touren zurückkam.
"Er stinkt jedes Mal, als hätte er in dem Zeug gebadet", sagte Cotton, "ich ertrage das wirklich nur mit Mühe."
"Irgendwann steckt er sich eine Zigarette an und wird uns alle in die Luft jagen."
"Und dabei sind seine Graffitis nicht einmal gut", sagte Niall, "als ich mit Ruby herumgefahren bin, hab ich eines gesehen. Wie kann man so untalentiert sein und so dumm, nein? Er hat seinen Namen druntergeschrieben."

Sie hörten jemanden hereinkommen, ignorierten es zunächst, weil es in dem Haus ein ständiges Kommen und Gehen war, und sie machten sich auch noch keine Gedanken, als Ruby hereinplatzte.
Sie warf ihre Tasche in die Ecke, die dicken Winterstiefel hinterher, die sie sich von den Füßen schlenkerte, telefonierte dabei die ganze Zeit mit ihrem Handy. Sie redete in einer Tonlage, die fast in den Hundepfeifenbereich ging und die Niall Kopfschmerzen bereitete. Nachdem sie auch ihren dicken Mantel ausgezogen und in die Ecke geworfen hatte, rauschte sie aus der Küche und verschwand irgendwo in eines der Zimmer. Erst eine halbe Stunde später stapfte sie an der Küche vorbei, kam zurück und klappte das Handy zu.
"Das war's", sagte sie. Sie warf einen Blick in die neugierige Dreierrunde.
"Für diejenigen, die es interessiert, ich bin soeben vor vollendete Tatsachen gestellt worden und überlege gerade, wie ich damit leben kann, ohne jemanden umzubringen."
Niall hätte an seiner Stelle gar nichts gesagt, aber der Mexikaner fühlte sich dazu genötigt und fragte: "Was hat deine Mom diesmal für dich

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