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Ruchlos

Ruchlos

Titel: Ruchlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Baum
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wohl auch durch die Sorgen, die ihn den ganzen Tag umgetrieben hatten, gerädert aus und viel älter, als er war.
    »Unser Trumpf ist, dass er schon besoffen ist, wenn er dort ankommt. Und dass dort keine Rechtsextremen verkehren. Schließlich ist das Letzte, was wir brauchen können, dass der Kerl Unterstützung von anderen bekommt. Er steht meist draußen vor der Tür, sodass ich mich gut in der Nähe aufhalten kann.« Dale blickte von mir zu Jonas. » Also: noch Fragen?«
    *
    Es war eine düstere Ecke hinter dem Friedrichstädter Güterbahnhof, in die Dale den Fiesta lenkte. An der Fröbelstraße gab es noch etliche Geschäfte, die Straßenbahn und Autos sorgten für Betrieb, an der Gambrinus-Straße standen jedoch unsanierte Häuser, auf dem Kopfsteinpflaster holperte der Wagen. Durch das offene Fenster roch es nach Braunkohle. Am Ende der Straße sah ich auf der rechten Seite ein witziges rundes Werbeschild ›Bären-Batterie‹, das wohl ehemals selbst beleuchtet gewesen war, nun nur im Schein der Straßenlaterne sichtbar wurde. Gegenüber standen die Flügeltüren des Gambrinus-Eck weit offen. Dale bog nach links in die Altonaer Straße ein, fuhr noch etwa hundert Meter, parkte.
    »Ihr bleibt erst einmal hier, ich schaue, ob er schon da ist«, sagte er und verließ den Wagen, schlenderte die Straße zurück, schon wieder eine Zigarette im Mund.
    Der Schein des Feuerzeugs loderte kurz auf, beleuchtete seine schmalen Züge. Er hatte in der nächsten Woche Geburtstag, fiel mir ein. Der 39., er war ein halbes Jahr älter als ich.
    »Eine seltsame Situation, oder?«, ließ sich Jonas vom Rücksitz vernehmen.
    »Du kannst immer noch aussteigen.« Vermutlich war die Abenteuerlust, die ihn heute Mittag sofort hatte zustimmen lassen, jetzt, da es ernst wurde, verflogen, dachte ich.
    »Nein, das meine ich nicht«, sagte er. Ich drehte mich zu ihm um. In dem dämmerigen Licht konnte ich seine Gesichtszüge nicht genau erkennen, aber er schien verlegen. »Na ja, er und du und Andreas.«
    »Ja«, entgegnete ich nur.
    Vor der Kneipe standen drei Männer herum, Bierflaschen in der Hand. Der Leuchtwerbung neben der Tür nach musste es Sternquell sein. Dale kam bereits wieder aus dem Gebäude heraus, überquerte die Straße. Ich stellte den rechten Außenspiegel so ein, dass ich den Bürgersteig hinter dem Fiesta sehen konnte. Dale machte gerade einen Schritt hinter eine Backsteinmauer und verschwand.
    Kurz darauf kam er zum Auto zurück, ließ sich in den Fahrersitz fallen.
    »Nein, noch nicht da.«
    Er drehte seine Rückenlehne etwas schräger, justierte den Innenspiegel und lehnte sich zurück. So verbrachte er also viele Stunden seines Berufslebens. Geduldig abwarten, den richtigen Moment erwischen, dann mit wachen Sinnen bereit sein. Die Uhr an der Konsole zeigte halb zwölf.
    »Es ist ja auch noch früh«, sagte ich. »Hinter der Mauer schläft er manchmal?«
    »Ja. Die Plastiktüte mit seinem Schlafsack liegt da.«
    Ich blickte hinaus in die feuchtkühle Nacht, versuchte mir vorzustellen, wie es war, bei solchem Wetter ohne Dach über dem Kopf zu leben. Es gelang mir nicht.
    »Wir provozieren Ronnie jetzt zu einer Straftat – und dann?«
    »Dann wird ihm geholfen.« Aus Jonas sprach ein Glaube an die Gesellschaft, der noch nie erschüttert worden war.
    Dale schwieg lange. »Für das Jugendstrafrecht ist er zu alt. Im schlimmsten Fall kommt er in den Knast. Zu lauter guten Vorbildern.« Er warf einen Blick zur Seite, um meine Reaktion zu sehen, zuckte dann betont cool die Achseln. » Aber wenn er so weitermacht, landet er da sowieso irgendwann. Und vielleicht für länger, wenn er zum Beispiel eine Oma, der er die Handtasche klauen wollte, zu fest gestoßen hat. So gesehen, ist für ihn eigentlich alles besser.«
    »Das ist zynisch«, fand ich, wusste aber auch keine Lösung. Mir fiel ein, was Marianne Gärtner erzählt hatte. Sie könnte Ronnie doch aufnehmen, der ihr dafür im Alltag half. Sozialromantische Spinnerei, schalt ich mich selbst. Der Verdacht, dass dieser junge Kerl Heinz Wachowiak auf dem Gewissen hatte, war noch nicht vom Tisch.
    Dale antwortete nicht, von Jonas kam plötzlich ein lautes Aufstoßen, danach ein »Entschuldigung«. Einige Minuten saßen wir schweigend in dem kleinen Auto, trotz des halb offenen Fensters beschlugen die Scheiben.
    »Vielleicht ist es besser, wenn ihr euch schon in Position bringt«, schlug Dale vor. »Und, Jonas …«
    »Ja?«
    »Jetzt wäre es mir recht, wenn du ein Bier

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