Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
Zementsack gesehn. Es war ein Glücksfall, wenn man ihn in seinem Büro antraf, ich zeigte ihm dann die Gipsspuren auf seiner Jacke, wenn er nicht gerade einen hübschen Riß in der Hose hatte. Aber er blickte kaum hoch, ob er nun über den Plänen der Stiftung hing oder dabei war, irgendein Schreiben in dieser Richtung abzufassen, das keinerlei Aufschub duldete. Die Welt um ihn herum existierte nicht mehr. Konnte man ihn nicht sogar in einem dünnen Pulli bei eisigem Wind auf die Straße treten sehen, Andrea im Schlepptau, die ihm seinen Mantel nachtrug?
    Es stand inzwischen fest, daß Marianne gelähmt bleiben würde, und einige Baumaßnahmen waren entsprechend geplant worden, besonders was die Treppen betraf, damit sie sich ohne fremde Hilfe in ihrem neuen Palast bewegen konnte. Sie lehnte jeglichen Besuch ab. Dieser Entschluß war mir ganz recht, denn ich haßte es, den Fuß über die Schwelle eines Krankenhauses zu setzen. Hermann und ich hatten ihr ein paar Zeilen geschrieben, und ihre Mutter hatte uns angerufen, um uns zu danken, und wir hatten sie am anderen Ende der Leitung weinen hören, das hatte uns den Appetit verschlagen.
    Die Ermittlungen hatten nichts ergeben. Den Tag, da Gladys’ Team den Sieg im Halbfinale errang, feierten wir ganz und gar nicht. Sarah war nicht mehr verliebt, sie hatte einen fürchterlichen Krach mit dem erwähnten Typen gehabt und war in einer abscheulichen Laune, so daß sich Hermann und ich schleunigst von dannen machten. Am Abend rief mich Marianne zum erstenmal seit ihrer Einlieferung ins Krankenhaus an, sie wollte das Ergebnis des Spiels erfahren. Ich fragte sie nicht, wie es ihr gehe.
    Es gab Tage, da schlug die Kälte sämtliche Rekorde. Die platzenden Rohrleitungen waren nicht mehr zu zählen, die Bäume, die bis in die Wurzeln erfroren, die Vögel, die von den Ästen fielen, die gebrochenen Beine. Was letzteres anging, war ich keineswegs böse, als man mich eines schönen Tages von meinem Gips befreite, denn auch wenn Elsie und ich eine gewisse, leicht an den Haaren herbeigezogene Bumstechnik entwickelt hatten, mußten wir doch feststellen, daß unsere Beziehung stark verkümmert war, zumindest fehlte es ihr mehr und mehr an Inspiration. Unfähig, mein Bein zu knicken, und in Anbetracht der Gefahr, die so manche Position in sich barg, hatten wir uns auf schmale Kost gesetzt.
    - Na, das wurde aber auch langsam Zeit! meinte Elsie zu mir, ohne sich jedoch überwinden zu können, es zu streicheln, dieses Bein, das in der Tat mager und entsetzlich weiß und düster behaart aussah.
    Man konnte Elsie wahrlich nicht nachsagen, daß sie eine Klette war, aber seit ich meine Pforten der Außenwelt wieder geöffnet hatte, blieb sie manchmal zum Abendessen bei uns, und ich beobachtete Hermann aus dem Augenwinkel, um zu sehen, was er davon hielt. Daß er sich darüber gar keine Gedanken machte, erschien mir äußerst unwahrscheinlich. Und doch, ich konnte noch so oft gewisse Anspielungen machen oder hinter der Tür versteckt die Ohren spitzen, wenn ich es so eingerichtet hatte, daß sie für einige Minuten allein waren, es gelang mir nicht, mir ein klares Bild zu machen, ich wußte nicht, was er wirklich empfand. Es gab eine beträchtliche Schattenseite in ihm, die mir vollkommen schleierhaft blieb, ein Hang, der sich mir nie erhellte, aber das war ohne Zweifel der Grund, weshalb ich ihn so innig liebte.
    Eines Morgens lud ich ihn auf mein Motorrad, und wir rauschten unter dem Vorwand, daß endlich ein fahler Sonnenstrahl vom Himmel auf uns fiel, durch die vereiste Landschaft. Nach einer Stunde hielten wir am Straßenrand an und gingen ein Stück spazieren, und ich sagte zu ihm, du verstehst schon, Elsie und ich haben das Verlangen, uns von Zeit zu Zeit zu sehen, ich nehm an, ich brauch dir nicht zu erklären, warum, trotzdem, ich möchte, daß du eins weißt, ich bin nicht gezwungen, sie zu uns kommen zu lassen, wir können uns auch anders behelfen, nichts einfacher als das, du hast selbstverständlich das Recht, nicht damit einverstanden zu sein, du brauchst es mir nur zu sagen, verdammt, wir beide leben zusammen, also, wenn du meinst, ich bau Scheiß, dann sag es mir, ich schaff’s nicht, mich in dich hineinzuversetzen, und ich möchte auch, daß du weißt, daß ich nicht einfach dein Kumpel bin, Hermann, so ein Spiel wollen wir gar nicht erst anfangen.
    - Ich weiß, sagte er.
    In einem Moment purer Ungezwungenheit ließ ich mich dazu hinreißen, ihm einen Arm um die Schultern zu

Weitere Kostenlose Bücher