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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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erbärmlichen Stipendien verteilte, um die sie mich in aller Bescheidenheit ersuchten? Wo bliebe auch nur der Anschein von Gerechtigkeit, wenn ein Mädchen in schwarzen Strümpfen, um nicht zu sagen, ohne Höschen, in der Lage wäre, mir zwei auf einmal abzuluchsen …?
    Es war ratsam, daß ich mich von all dem fernhielt, das war besser für alle Beteiligten.
    Was mich nicht daran hinderte, regelmäßig vorbeizugehen, um zu gucken, was sich da zusammenbraute, um einen Hauch vom Geist der Zeit mitzukriegen und nebenbei ein paar Freikarten einzustreichen, wenn mir eine Aufführung zupaß kam. Mit einer besonderen Vorliebe fürs Theater, seit Hermann damit angefangen hatte, eine Sache, die er offenbar sehr ernst nahm.
    - Und …? Wie kommt er zurecht? fragte mich Andrea.
    - Bestens! Morgens übt er ganze Serien von Grimassen vor dem Spiegel. Mit Kieselsteinen im Mund habe ich ihn allerdings noch nicht gesehn …
    - Ah, ich bewundere ihn! Ich bin überzeugt, er hat Talent …!
    - Soso. Das muß er von seiner Mutter haben.
    - Und Sie, Dan …? Immer noch unentschlossen …?
    Es war Usus in der Stiftung, mich jedesmal zu fragen, ob ich meine Meinung noch nicht geändert hätte, als sei das bloß eine Frage der Zeit, als müßte ich ihnen über kurz oder lang wie eine überreife Frucht in den Schoß fallen. Anscheinend war Marianne entschlossen, uns alle beieinander zu haben, woraus sie überdies kein Hehl machte, sie behauptete, die Stiftung sei eine große Familie, und das sei der Grund, weshalb alles so gut klappte.
    Nach Paul und Andrea war Max als nächster in ihr Lager übergewechselt. Naja, man muß zugeben, im Grunde hatte er keine Wahl. Als Gladys’ Team zum drittenmal nacheinander im Finale Prügel bezog, hatte man ihn schleunigst in die Wüste geschickt, man wollte nichts mehr davon hören, und die angewiderte Miene, mit der ihn der stellvertretende Bürgermeister bedacht hatte, davon hatte er sich nicht erholt.
    - Auf mir liegt ein Fluch, Dan. So ein Pech hat noch keiner gehabt. Ich tauge höchstens noch dazu, durch die Bude zu tigern und zu beten, daß man mich vergißt.
    Vormittags fuhr ich bei ihm vorbei, um ihn aufzurütteln, damit er mit mir eine Runde lief, aber er knurrte bloß, er frage sich, was er davon habe, aufzustehen, ob es etwas Sinnloseres gebe, als in seiner Situation in Form bleiben zu wollen. Ich sah schwarz für ihn. Eines Morgens jedoch fand ich ihn hellwach vor, er hatte sich in Schale geworfen und verkündete mir, man habe ihm einen Job bei der Stiftung angeboten.
    - Eine Art Mädchen für alles, verriet er mir lächelnd. Wenn ich bedenke, daß man mich gefeuert hat, weil man meinte, ich taugte nichts mehr …!
    Sarah war die nächste. Pauls Angebot war finanziell so attraktiv, daß sie keine Sekunde zögerte. Bei all den Aufführungen fand sich immer ein Gesicht, das zu schminken war.
    - Um so mehr, fügte Paul hinzu, als wir eine Frau wie Sie brauchen können, die darauf achtet, daß in dieser Richtung ein wenig Ordnung herrscht, das vor allen Dingen.
    Und Sarah machte ihre Sache großartig.
    Paul sagte mir ein ums andere Mal, nur ich fehle noch. Gab es denn keine einzige Person, die sich nicht der gängigen Meinung anschloß und mir recht gab? Daß das Leben in erster Linie eine lange, einsame Reise und schier zum Verzweifeln ist, nun ja, das war nichts Neues.
     
    Ich ahnte, worauf Marianne hinauswollte, doch nicht, um ihr die Stirn zu bieten, weigerte ich mich, der Stiftung beizutreten. Sie hatte ihre Gründe und ich die meinen. Wir sahen uns regelmäßig, es kam sogar vor, daß ich sie in ihrem Rollstuhl schob, wenn wir uns in der Eingangshalle begegneten oder in den gleichen Flur einbogen, aber es ereignete sich nichts Neues zwischen uns, unsere Beziehungen waren total eingefroren, und wir hatten uns nichts zu sagen. Sie hatte nie wieder mit mir über ihr Drehbuch gesprochen. Ich hatte es nicht mehr angerührt, es war noch so, wie wir es bei unserer letzten Sitzung belassen hatten, und faulte nun seelenruhig in einer meiner Schubladen vor sich hin. Es störte mich nicht. Und wenn sie schon kein Wort darüber verlor, war es nicht mein Bier, mich damit zu beschäftigen.
    Ich hatte andere Sorgen. Da war vor allem diese Geschichte mit Hermann und Gladys, die sich im Laufe der Monate immer, deutlicher abzeichnete und die durch Richards Gegenwart getrübt wurde. Im Gegensatz zu der weitverbreiteten Vorstellung, daß ein Vater einigen Stolz, zumindest einige Erleichterung verspürt, wenn

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