Rueckkehr ins Leben
sah ganz anders aus als die Dörfer, die ich kannte.
Unsere Begleiter kamen nicht mit, sie gingen zurück ins Hotel. Ich wusste nicht, dass Lauras Zuhause auch mein künftiges Zuhause sein würde. Traditionell gewebte Stoffe aus aller Welt hingen an den Wänden, Tierskulpturen standen in gro-
ßen Regalen mit Büchern voller Geschichten; Lehmvasen mit schönen und exotischen Vögeln darauf standen auf Tischen.
Außerdem waren da Instrumente aus Bambus und andere
merkwürdige Dinge. Das Haus war groß genug für die ganze
Gruppe, alle siebenundfünfzig. Zuerst saßen wir in Lauras Wohnzimmer herum und erzählten uns Geschichten, dann
tanzten wir in die Nacht hinein. Es war unser letzter Abend in New York, und dies war der perfekte Ort, ihn zu begehen, denn das Haus war genauso interessant und steckte
ebenso voller unglaublicher Geschichten wie unsere Gruppe.
Alle fühlten sich wohl und entdeckten etwas aus ihrer Heimat. In dem Haus hatte man das Gefühl, gar nicht in New
York, sondern gleich in einer ganz anderen Welt zu sein.
Am nächsten Abend begleiteten Laura und Shantha Bah,
Dr. Tamba und mich zum Flughafen. Zunächst saßen wir
schweigend im Wagen, aber allmählich fingen wir alle, mit Ausnahme von Dr. Tamba, zu schluchzen an. Im Terminal,
wo wir uns verabschiedeten und umarmten, wurde das
Schluchzen noch schlimmer. Laura und Shantha gaben uns
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ihre Adressen und Telefonnummern, damit wir in Kontakt
bleiben konnten. Wir verließen New York am 15. Novem-
ber 1996. Es blieben noch sechzehn Tage bis zu meinem
sechzehnten Geburtstag. Noch während des gesamten Rück-
flugs hatte ich das Gefühl, als würde ich träumen – einen Traum, aus dem ich nicht erwachen wollte. Ich war traurig, abreisen zu müssen, aber ich freute mich auch, dass ich Leute von außerhalb Sierra Leones kennen gelernt hatte. Denn
wenn ich nach meiner Rückkehr getötet würde, wusste ich,
dass sich irgendwo auf der Welt jemand an mich erinnern
würde.
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An manchen Abenden erzählte ich meiner Familie (darunter
auch Mohamed, der jetzt ebenfalls bei uns lebte) die Ge-
schichte meiner Reise. Ich beschrieb alles – das Flugfeld, den Flughafen, das Flugzeug, das Gefühl, die Wolken vom Fenster des Flugzeugs aus zu betrachten. Ich hatte ein Kribbeln im Bauch, wenn ich mich daran erinnerte, wie ich auf dem
Amsterdamer Flughafen über ein Laufband gegangen war. Ich hatte noch nie so viele Weiße gesehen, die alle eilig Taschen hinter sich herzogen und in verschiedene Richtungen rannten. Ich erzählte von den Menschen, die ich kennen gelernt hatte, von den hohen Häusern in New York und wie die
Leute auf der Straße fluchten. Ich strengte mich an, den
Schnee so genau wie möglich zu beschreiben und zu schil-
dern wie es war, wenn es so früh dunkel wurde.
»Das klingt nach einer seltsamen Reise«, meinte mein On-
kel. Mir kam es vor wie etwas, das sich nur in meinem Kopf abgespielt hatte.
Mohamed und ich gingen wieder zur Schule, in die St.
Edward’s Secondary School. Ich war aufgeregt. Ich erinnerte mich daran, wie ich morgens in die Grundschule gegangen
war, wenn das Geräusch der Besen, die die Mangoblätter
wegfegten, die Vögel aufschreckte, die schrill schnatterten, als wollten sie sich bei den anderen nach der Ursache des Krachs erkundigen. Meine Schule bestand nur aus einem kleinen
Gebäude aus Lehmsteinen und einem Blechdach. Es gab kei-
ne Türen, keine Steinfußböden und es war zu klein für alle Schüler. Der Unterricht wurde größtenteils draußen unter
den Mangobäumen abgehalten, die uns Schatten spendeten.
Mohamed erinnerte sich vor allem daran, dass bei uns in
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der Grund- und in der weiterführenden Schule Unter-
richtsmaterialien gefehlt hatten und dass wir den Lehrern auf deren Plantagen oder in deren Gärten beim Pflanzen hatten helfen müssen. Anders konnten die Lehrer, die seit Jahren nicht mehr bezahlt worden waren, nicht für ihren eigenen
Lebensunterhalt sorgen. Je mehr wir darüber sprachen, desto klarer wurde mir, dass ich vergessen hatte, wie es war, ein Schüler zu sein und im Unterricht zu sitzen, mitzuschreiben, Hausaufgaben zu machen, Freundschaften zu schließen und
andere Schüler zu ärgern. Ich freute mich darauf, wieder in die Schule zu gehen. Aber am ersten Tag in der Schule in
Freetown setzten sich alle Schüler von uns weg, so als könnten Mohamed und ich jeden Augenblick durchdrehen und
jemanden umbringen. Irgendwie hatten sie erfahren, dass
wir
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