Rueckkehr ins Leben
Kindersoldaten gewesen waren. Wir hatten nicht nur
unsere Kindheit im Krieg verloren, sondern uns haftete auch jetzt noch ein Makel an wegen der Erfahrungen, die in uns noch immer großen Schmerz und große Traurigkeit verur-sachten.
Wir gingen den Weg zur Schule immer sehr langsam. Mir
gefiel das, weil ich darüber nachdenken konnte, wie sich
mein Leben entwickelte. Ich war zuversichtlich, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, als es schon gewesen war –
und dieser Gedanke ließ mich oft lächeln. Ich gewöhnte
mich daran, wieder Teil einer Familie zu sein. Auch begann ich, den Leuten zu erzählen, Mohamed sei mein Bruder, damit ich nichts mehr erklären musste. Ich wusste, ich würde meine Vergangenheit nie vergessen können, aber ich wollte aufhören, darüber zu sprechen und ganz und gar in meinem
neuen Leben ankommen.
Wie gewöhnlich war ich früh morgens aufgestanden, saß
auf dem flachen Stein hinter dem Haus und wartete, dass die Stadt erwachte. Es war der 25. Mai 1997. Doch statt der üblichen Geräusche, mit denen sonst das Leben in die Stadt zu-rückkehrte, wurde sie an jenem Morgen durch Schüsse um
das State House und das Parlament aus dem Schlaf gerissen.
Die Schüsse weckten alle, und ich lief zu meinem Onkel und den Nachbarn auf die Veranda. Wir wussten nicht, was los
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war, aber wir sahen Soldaten die Pademba Road entlanglau-
fen und Armeefahrzeuge in der Gegend um das Gefängnis
hin- und herrasen.
Die Schüsse nahmen tagsüber zu, verbreiteten sich in der
ganzen Stadt. Die Einwohner der Stadt standen draußen auf ihren Veranden, angespannt, zitternd vor Angst. Mohamed
und ich sahen einander an: »Nicht schon wieder.«
Am frühen Nachmittag war das Zentralgefängnis geöffnet und die Gefangenen auf freien Fuß gesetzt worden. Die neue Regierung verteilte am Ausgang Gewehre. Einige gingen direkt zu den Häusern der Richter und Anwälte, von denen sie verurteilt worden waren, töteten sie und ihre Familien oder
brannten deren Häuser nieder, wenn sie niemanden antrafen.
Andere stießen zu den Soldaten, die sämtliche Läden plün-
derten. Der Rauch aus den brennenden Häusern erfüllte die Luft und hüllte die Stadt in Nebel.
Jemand, der sich selbst als neuen Präsidenten von Sierra
Leone vorstellte, hielt eine Ansprache im Radio. Sein Name war Johnny Paul Koroma, wie er behauptete, und er war der Führer des Armed Forces Revolutionary Council (AFRC),
gegründet von einer Gruppe von Offizieren der Sierra Leone Army (SLA) mit dem Ziel, den demokratisch gewählten Prä-
sidenten Tejan Kabbah abzusetzen. Koromas Englisch war
genauso schlecht wie die Beweggründe, die er für den Putsch anführte. Er riet jedem, zur Arbeit zu gehen, und er sagte, alles sei in Ordnung. Im Hintergrund hörte man Schüsse und wütende Soldaten, die teils fluchten, teils jubelten und ihn fast übertönten.
Später am Abend kam eine weitere Durchsage im Radio.
Dieses Mal wurde bekanntgegeben, dass die Rebellen (RUF)
und die Armee die Zivilregierung gemeinsam »zum Besten
der Nation« abgesetzt hatten. Rebellen und Soldaten strömten von der Front in die Stadt. Die gesamte Nation versank in einem Zustand der Gesetzlosigkeit. Ich hasste, was da passierte. Ich konnte nicht in mein altes Leben zurückkehren. Dieses Mal, dachte ich, würde ich es nicht überleben.
Die AFRC/RUF, die »Sobels«, wie sie genannt wurden,
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sprengten die Banktresore mit Panzerfäusten und anderen
Sprengladungen und plünderten sie dann, um an Geld zu
kommen. Manchmal hielten die Sobels Passanten auf der
Straße an, durchsuchten sie und nahmen ihnen ab, was sie
gerade finden konnten. Sie besetzten die Schulen und Uni-
versitäten. Tagsüber gab es nichts zu tun, außer auf der Veranda zu sitzen. Mein Onkel wollte ein Haus fertigbauen, an dem wir gearbeitet hatten, seitdem ich zu ihm gezogen war.
Morgens gingen wir zu dem Grundstück und arbeiteten, bis
wir am frühen Nachmittag wegen der Schüsse nach Hause
laufen und unter den Betten in Deckung gehen mussten.
Aber Tag für Tag wurde es gefährlicher draußen im Freien, und viele wurden von verirrten Kugeln getötet. Wenig später schon hörten wir auf zu arbeiten.
Bewaffnete Männer hatten die meisten Lebensmittel aus
den Läden und von den Märkten der Stadt geholt, und die
Lebensmittelimporte aus dem Ausland und den Provinzen
waren gestoppt worden. Das wenige, das übrig blieb, musste inmitten dieses Irrsinns gesucht werden. Laura Simms hatte
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