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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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ihr aufgefallen war, dass wir nur unsere leichten afrikanischen Hemden und Hosen trugen und dicht an der Heizung saßen, die Arme um unsere
    schmächtigen Körper geschlungen, und dass uns die Kälte, die tief in unsere Knochen gekrochen war, immer wieder schau-dern ließ. Vor dem Mittagessen kam sie auf uns zu. »Habt ihr keine Winterjacken?«, fragte sie. Wir schüttelten die Köpfe.
    Ein sorgenvoller Blick verdüsterte ihr Gesicht und ließ ihr Lächeln gezwungen wirken. An jenem Abend kam sie mit
    Winterjacken, Mützen und Handschuhen zurück. Ich hatte
    das Gefühl, als steckte ich in einem schweren grünen Kos-
    tüm, das meinen Körper größer wirken ließ, als er war. Aber ich war glücklich, denn jetzt konnte ich mich nach den täglichen Workshops nach draußen wagen. Jahre später, als mir
    Laura eine ihrer Winterjacken anbot, wollte ich sie nicht anziehen, weil es eine Damenjacke war. Sie machte sich über mich lustig, weil es mir bei unserer ersten Begegnung noch egal gewesen war, dass ich die Jacke einer Frau trug.
    Bah und ich freundeten uns im Lauf der Konferenz mit
    Laura und Therese an. Manchmal sprach Laura mit uns über
    Geschichten, die ich als Kind gehört hatte. Ich war voller Ehrfurcht, weil eine weiße Frau von der anderen Seite des Atlantischen Ozeans, die mein Land nie besucht hatte, Geschichten kannte, die so typisch für meinen Stamm und mei-ne Herkunft waren. Als sie einige Jahre später meine Mutter wurde, sprachen sie und ich oft darüber, ob es wohl Zufall oder Schicksal war, dass ich aus einer Kultur kam, die so verrückt nach Geschichten war und nun in New York bei einer
    Mutter lebte, die Geschichtenerzählerin war.

    228
    Am zweiten Tag rief ich meinen Onkel in Freetown an.
    Aminata ging ans Telefon.
    »Hi, hier ist Ishmael. Kann ich bitte mit meinem Onkel
    sprechen?«, fragte ich.
    »Ich hole ihn. Ruf in zwei Minuten noch mal an.« Amina-
    ta legte auf. Als ich wieder anrief, ging mein Onkel dran.
    »Ich bin in New York«, sagte ich.
    »Naja«, sagte er. »Dann will ich dir mal glauben, ich hab dich nämlich schon ein paar Tage nicht mehr gesehen.« Er
    kicherte. Ich öffnete das Hotelzimmerfenster, damit er die Geräuschkulisse von New York hören konnte.
    »Das klingt nicht wie Freetown«, sagte er und war einen
    Moment still, bevor er fortfuhr. »Also sag schon, wie ist es da?«
    »Es ist entsetzlich kalt«, sagte ich und fing an zu lachen.
    »Ah! Vielleicht ist das dein Eintritt in die Welt der Wei-
    ßen. Naja, erzähl mir davon, wenn du wiederkommst. Und
    bleib da, wenn’s sein muss.« Während er redete, stellte ich mir die staubige Schotterstraße an seinem Haus vor. Und ich konnte die Erdnusssuppe meiner Tante riechen.
    Jeden Morgen marschierten wir schnell durch den Schnee
    zu einem Konferenzraum am Ende der Straße. Dort vergaßen
    wir unsere persönlichen Sorgen und diskutierten angeregt
    über mögliche Lösungen für die Probleme der Kinder in un-
    seren jeweiligen Heimatländern. Am Ende dieser langen Ge-
    sprächsrunden glänzten unsere Gesichter, und unsere Augen strahlten, weil es Hoffnung und ein Glücksversprechen gab.
    Es schien, als könnten wir das, was wir durchgemacht hatten, in etwas Gutes verwandeln, indem wir darüber sprachen, wie man die Ursachen beseitigen und die Welt davon in Kenntnis setzen konnte.
    Am Abend des zweiten Tages gingen Madoka aus Malawi
    und ich die Forty-Seventh Street in westlicher Richtung entlang, ohne zu merken, das wir uns direkt auf den Times
    Square zubewegten. Wir waren damit beschäftigt, die Gebäu-de und die vorbeieilenden Menschen zu betrachten, als wir plötzlich überall Lichter und Filme auf riesigen Leinwänden entdeckten. Wir sahen uns an, voller Ehrfurcht davor, wie 229
    absolut unglaublich und geschäftig es dort zuging. Auf einem der Bildschirme waren eine Frau und ein Mann in Unterwä-
    sche zu sehen. Ich fand sie sehr angeberisch. Madoka zeigte auf die Leinwand und lachte. Auf anderen Flächen wurden
    Musikvideos gezeigt oder Zahlen, die wie auf einem Band
    darüberliefen. Alles blinkte und veränderte sich sehr rasch.
    Wir standen eine Zeit lang in einer Ecke und waren fasziniert von den Leuchtanzeigen. Als es uns endlich gelang, den Blick wieder abzuwenden, gingen wir stundenlang den Broadway
    auf und ab und starrten in die Schaufenster. Mir war nicht mehr kalt, denn ich fand die vielen Menschen, die glitzern-den Gebäude, die Geräusche der Autos überwältigend und
    faszinierend. Ich dachte, ich würde

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