Rueckkehr ins Leben
sagte Jumah lachend.
Wir suchten nach Anzeichen, die uns verraten würden, ob
jemand hier gewesen sei. Offensichtlich war hier Palmöl hergestellt worden, überall lagen Schalen von Palmkernen he-
rum. Auf dem Fluss trieb ein verlassenes Kanu, in dem bereits Algen wuchsen. Wieder im alten Haus besprachen wir, wo
wir schlafen sollten. Wir setzten uns unten vor der Veranda auf Baumstämme. Musa bot an, uns eine Geschichte über Bra Spider zu erzählen.
»Nein!«, protestierten wir – die kannten wir alle viel zu gut –, aber er redete dennoch weiter.
»Geschichten über Bra Spider sind immer gut, egal wie oft man sie gehört hat«, erklärte Musa. »Meine Mutter hat gesagt, es lohnt sich immer zuzuhören, wenn eine Geschichte erzählt wird. Also bitte hört zu! Ich erzähl auch ganz schnell.« Er räusperte sich und fing an.
»Bra Spider wohnte in einem Dorf, das von vielen anderen
Dörfern umgeben war. Am Ende der Erntezeit gab es in allen Dörfern ein großes Festmahl zur Feier der erfolgreichen Ernte. Es gab Wein und Essen im Überfluss, und die Leute aßen, bis sie ihre Gesichter auf den Bäuchen der anderen wie in einem Spiegel erkannten.«
»Was?«, fragten wir alle schockiert wegen dieses zusätzlichen Details, das er der Geschichte hinzugefügt hatte.
»Ich erzähle die Geschichte, also kann ich auch meine
Version erzählen. Wartet, bis ihr dran seid.« Musa stand auf.
Wir hörten aufmerksam zu, um herauszufinden, ob er die
Geschichte mit weiteren ungewöhnlichen Einzelheiten aus-
schmücken würde. Er setzte sich wieder und fuhr fort:
»Jedes Dorf spezialisierte sich auf ein Gericht. Im Dorf von Bra Spider gab es Okrasuppe mit Palmöl und Fisch. Mmmm
… mmm … mmm. In den anderen Dörfern wurden Ma-
niokblätter mit Fleisch, Kartoffelblättern und so weiter gemacht. In jedem Dorf prahlten die Menschen damit, wie gut ihr Essen sei. Die Bewohner aller Dörfer waren ganz zwang-85
los auch zu den Festessen aller anderen Dörfer eingeladen.
Doch Bra Spider übertrieb es. Er wollte an allen Festessen teilnehmen. Er hatte sich einen Plan ausgedacht. Mehrere
Monate vor dem Fest hatte er bereits angefangen, Seile zu sammeln und zu flechten. Während die Leute Reis und Holz
auf die Plätze schleppten und die Frauen Reis in den Mörsern stampften, um die Schalen von den Körnern zu trennen,
spannte Bra Spider auf seiner Veranda die Seile und maß deren Länge. Als die Männer jagen gingen, legte er seine Seile an den Pfaden aus, die von seinem Dorf in die umliegenden Dörfer führten. Er gab den Häuptlingen die Enden der Seile, und sie befestigten sie an dem Baum, der dem Dorfplatz am nächsten stand. ›Sag deinen Leuten, sie sollen am Seil ziehen, wenn euer Essen fertig ist‹, erklärte er jedem Häuptling mit nasaler Stimme. Zur Vorbereitung auf das Fest hungerte Bra Spider eine Woche lang. Als der Tag endlich gekommen war, stand Bra Spider früher auf als alle anderen. Er setzte sich auf seine Veranda und band sich alle Seile fest um die Hüfte. Er zitterte, und das Wasser lief ihm im Munde zusammen, als
allmählich der Geruch von geräuchertem Fleisch, getrocknetem Fisch und verschiedenen Eintöpfen aus den Kochhütten
drang.«
»Unglücklicherweise begann das Festessen in allen Dörfern zur selben Zeit. Die Häuptlinge befahlen, dass man an den Seilen zog. Bra Spider hing über seinem Dorf in der Luft und wurde in alle Richtungen gleichzeitig gezogen. Bra Spider schrie um Hilfe, aber die Trommeln und Lieder, die vom
Dorfplatz herüberdrangen, übertönten seine Stimme. Er
konnte sehen, wie sich die Leute um Teller voller Essen versammelten und sich am Ende des Mahls die Finger ableckten.
Kinder liefen auf dem Weg zum Fluss durch das Dorf, knab-
berten gekochtes Hühnchen, Ziegen- oder Rehfleisch. Jedes Mal, wenn Bra Spider versuchte, die Seile zu lösen, zogen die Bewohner der anderen Dörfer noch fester daran, da sie dachten, es handle sich um ein Signal, dass er nun bereit sei, am Festmahl teilzunehmen. Gegen Ende der Feier in Bra Spiders Dorf entdeckte ihn ein Junge und rief die Älteren herbei. Sie durchtrennten die Seile und holten Bra Spider herunter. Mit 86
kaum hörbarer Stimme verlangte er nach etwas zu essen,
doch es war nichts mehr übrig. Die Feste waren überall vorbei. Bra Spider blieb hungrig, und weil alle so lange und so fest an ihm gezogen hatten, war seine Taille ganz schmal geworden, wie es bei Spinnen auch heute noch ist.«
»Von dem ganzen Essen in der
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