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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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Mutter, wenn ich
    sie besuchte, als wollte sie mich vor etwas verstecken und schützen. Ich vermisste auch das Lachen meines Vaters, wenn wir zusammen Fußball spielten und wenn er mir abends
    manchmal mit einer Schüssel kaltem Wasser nachgerannt war, weil er wollte, dass ich dusche, sehnte mich nach den Armen meines älteren Bruders auf meiner Schulter, wenn wir in die Schule gingen und er mir manchmal den Ellbogen in die Seite stieß, um mich daran zu hindern, etwas zu sagen, was mir hinterher leid tun würde, und ich sehnte mich nach meinem kleinen Bruder, der genauso aussah wie ich und der, wenn er etwas ausgefressen hatte, manchmal behauptete, sein Name
    sei Ishmael. Es fiel mir schwer, diese Gedanken wachzurufen, und als ich mich endlich diesen Erinnerungen hingab, wurde ich so traurig, dass mir die Knochen im Leib wehtaten. Ich ging zum Fluss und tauchte ins Wasser, bis auf den Grund, doch meine Gedanken folgten mir auch dorthin.
    Am Abend, als alle wieder ins Dorf zurückgekehrt waren,
    wurde das Essen auf den Dorfplatz gebracht. Es wurde auf
    Platten verteilt, und sieben Leute aßen jeweils von einer Platte. Nach dem Essen machten die Dorfbewohner mit ihren
    Trommeln Musik, und wir fassten uns alle an den Händen
    und tanzten beim Schein des Mondes im Kreis. Nach sieben
    Liedern verkündete einer der Männer, dass später, wenn niemand mehr tanzen wolle – »wann immer das sein mag«, wie
    er lachend meinte –, »uns die Fremden die Geschichte erzählen, woher sie kommen«. Er hob die Hände und machte den
    Trommlern Zeichen fortzufahren. Während des Festes dachte ich an die große Feier, die es in meiner Stadt jeweils zum Jahresende gab. Die Frauen sangen dann von all dem Tratsch, den Dramen, den Streitereien und all dem, was im vergangenen Jahr passiert war.
    Ob sie wohl am Ende dieses Jahres über die Geschehnisse
    singen würden, fragte ich mich.
    Ich wunderte mich auch ein wenig darüber, dass die
    Dorfbewohner so nett zu uns waren, aber ich grübelte nicht weiter darüber nach, denn ich wollte mir den Spaß nicht ver-derben. Das Tanzen nahm in jener Nacht kein Ende und wir

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    mussten am nächsten Morgen früh los, deshalb gingen wir
    bereits, als die meisten Dorfbewohner noch schliefen. Wir nahmen einen Plastikkanister Wasser und ein bisschen geräuchertes Fleisch mit, das wir geschenkt bekommen hatten, und die alten Menschen, die auf ihren Veranden saßen und darauf warteten, sich von der Morgensonne wärmen zu lassen,
    winkten uns nach und sagten: »Möge der Geist der Ahnen bei euch sein, Kinder.«
    Im Weggehen drehte ich mich ein letztes Mal nach dem
    Dorf um. Es war an jenem Tag noch nicht zum Leben er-
    wacht. Ein Hahn krähte, um die letzten Überreste der Nacht zu vertreiben und die Grillen zum Schweigen zu bringen, die die Dunkelheit von sich aus nicht entließen. Die Sonne ging langsam auf, hatte aber bereits Schatten auf die Hütten und Häuser geworfen. Ich konnte noch immer den Nachhall der
    Trommeln der vergangenen Nacht hören, aber ich wehrte
    mich dagegen, glücklich zu sein. Als wir uns vom Dorf entfernten, tanzten meine Reisegefährten im Sand und ahmten
    einige der Tänze nach, die wir gesehen hatten.
    »Zeig mal, was du kannst«, sagten sie, klatschten und bildeten einen Kreis um mich herum. Ich konnte mich nicht
    dagegen wehren. Ich begann, im Takt ihres Klatschens die
    Hüften kreisen zu lassen, sie taten es mir nach. Wir legten die Hände auf die Schultern der anderen und liefen vorwärts,
    tanzten zu den Geräuschen, die wir mit den Mündern mach-
    ten. Ich trug das geräucherte Fleisch in einem kleinen Beutel, den ich durch die Luft schwenkte, um das Tempo, in dem
    wir die Füße von Seite zu Seite kickten, zu erhöhen. Wir
    tanzten und lachten in den Morgen hinein. Allmählich aber hörten wir damit auf. Es war, als wüssten wir, dass wir nur für einen flüchtigen Augenblick glücklich sein konnten. Wir
    hatten es nicht eilig, deshalb gingen wir, nachdem wir aufgehört hatten zu tanzen, langsam und schweigend weiter. Am
    Ende des Tages war das Wasser ausgetrunken, das wir mitgenommen hatten.
    Bei Anbruch der Nacht erreichten wir ein sehr seltsames
    Dorf. Ich bin nicht einmal sicher, ob es überhaupt ein Dorf war. Es gab ein großes Haus, und knapp einen Kilometer vom 84
    Haus entfernt stand eine Küche. Die Töpfe waren verschim-
    melt. Und da war eine Vorratskammer. Mitten im Nichts.
    »Also, dieses Dorf einzunehmen wird den Rebellen keine
    Schwierigkeiten machen«,

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