Rueckkehr ins Leben
Geschichte kriege ich auch
Hunger. Trotzdem, eine gute Geschichte. So hab ich sie
noch nie gehört«, sagte Alhaji und streckte sich. Wir lachten, denn wir wussten, dass er sich ein bisschen über Musa lustig machte, weil er seiner Geschichte so viele Details zugefügt hatte.
Kaum war Musa fertig, senkte sich die Nacht über das
Dorf. Es war, als hätte sich der Himmel rasch herumgerollt, die helle Seite gegen die dunkle getauscht und meinen Ge-fährten Schlaf mitgebracht. Wir stellten das geräucherte
Fleisch und das Wasser an die Tür des Zimmers, in das wir uns legten. Ich blieb bei meinen Freunden drinnen, obwohl ich erst in den allerletzten Stunden der Nacht einschlief. Ich erinnerte mich an Abende, an denen ich mit meiner Groß-
mutter am Feuer gesessen hatte. »Du wächst so schnell. Es kommt mir vor wie gestern, dass ich auf deiner Namensgebungsfeier war.« Sie sah mich an, ihr glänzendes Gesicht
glühte, und dann erzählte sie mir die Geschichte von meiner Namensgebungsfeier. Als ich größer wurde, besuchte ich
mehrere solcher Zeremonien, aber Großmutter erzählte mir
immer von meiner eigenen.
Alle aus der Gemeinde waren da. Bevor es losging, wurde
mit jedermanns Hilfe eine Unmenge an Speisen zubereitet.
Früh am Morgen schlachteten die Männer ein Schaf, häute-
ten es und verteilten das Fleisch an die besten Köchinnen, damit jede ihr bestes Mahl für die Zeremonie zubereitete.
Während die Frauen kochten, standen die Männer im Hof
und begrüßten einander lachend mit festem Händedruck,
jeder Mann räusperte sich so laut er konnte, bevor er zu sprechen begann. Jungen, die dort ebenfalls herumstanden und
die Gespräche der Männer belauschten, bekamen bestimmte
Aufgaben zugewiesen – hinter den Kochhütten Hühner
schlachten oder Feuerholz hacken.
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Bei den strohgedeckten Kochhütten sangen die Frauen,
während sie Reis in den Mörsern stampften. Sie führten
Kunststückchen mit den Stößeln vor. Sie schleuderten sie in die Luft und klatschten mehrmals in die Hände, bevor sie sie wieder auffingen, weiterstampften und sangen. Die Frauen, die älter und erfahrener waren, klatschten nicht nur mehrmals, bevor sie ihre Stößel auffingen, sondern machten auch ausgeklügelte Dankesgesten, die zu den Liedern passten, die sie sangen. In den Hütten saßen Mädchen auf dem Boden,
fächelten den glühenden Kohlen mit einem Bambusfächer
oder einem alten Teller Luft zu oder schürten das Feuer, indem sie einfach Luft unter die großen Töpfe bliesen.
Um neun Uhr morgens war das Essen fertig. Alle zogen
ihre besten Kleider an. Die Frauen waren besonders elegant in ihren wunderschönen gemusterten Baumwollröcken, Kleidern, Hemden und Lappei – große Baumwolltücher, die sich die Frauen um die Hüfte wickeln – und mit ihren extravagan-ten Kopftüchern. Alle waren bester Laune und bereit, mit der Zeremonie zu beginnen, die bis zum Mittag dauern würde.
»Der Imam traf spät ein«, sagte meine Großmutter. Ein
großes Metalltablett mit Leweh * , seitlich aufgereihten Kolanüssen und einer Kalebasse mit Wasser wurde ihm gereicht, und nachdem er sich auf einem Hocker in der Mitte des Hofs niedergelassen und die Ärmel seines weiten Umhangs hoch-gekrempelt hatte, rührte er die Leweh an und formte sorgfältig mehrere Portionen daraus, auf die er jeweils eine Kolanuss setzte. Der Imam las dann mehrere Suren aus dem Koran.
Nach dem Gebet sprenkelte er etwas Wasser auf den Boden,
um die Geister der Ahnen einzuladen.
Der Imam winkte meiner Mutter, gab ihr ein Zeichen,
damit sie mich zu ihm bringe. Ich war das erste Mal draußen im Freien. Meine Mutter kniete sich vor den Imam hin und
präsentierte mich ihm. Er rieb mir etwas Wasser aus der Kalebasse auf die Stirn und sagte noch mehr Gebete auf, wo-
raufhin er meinen Namen verkündete. »Ishmael soll er ge-
nannt werden«, sagte er und alle klatschten. Die Frauen be-
* Reispaste
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gannen zu singen und zu tanzen. Meine Mutter übergab mich meinem Vater, der mich hoch über die Köpfe der Menge
hielt und mich nacheinander an alle Anwesenden weiter-
reichte. Ich war Mitglied der Gemeinschaft geworden, und
nun würden sich alle um mich sorgen, denn ich gehörte zu
ihnen.
Das Essen wurde auf riesengroßen Tellern herausgebracht.
Die Älteren begannen mit dem Mahl, aßen alle von einem
Teller. Ebenso die Männer, dann die Jungen, und zum
Schluss bekamen die Frauen und Mädchen ihren Teil ab.
Nach dem Festmahl wurde
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