Rückkehr nach Kenlyn
von den vier Flügeln der Friedenswächter-Akademie begrenzt wurde. Ihre weißen Uniformen leuchteten im Schein der Lichtkugeln; egal ob Mann oder Frau, Mensch, Skria, Draxyll oder Yadi, ihnen allen stand die Aufregung ins Gesicht geschrieben, und der Admiral beneidete sie um ihren Enthusiasmus und ihre Unwissenheit. Viele von ihnen hatten Schwierigkeiten, den Blick geradeaus auf die rot geschmückte Bühne beizubehalten, wo die Direktorin und ihre Ausbilder standen, und spähten stattdessen immer wieder zu ihren Freunden, Verwandten, Förderern und Geliebten auf den großen Zuschauertribünen, die links und rechts von ihnen aufgebaut waren und gut dreitausend Lebewesen fassten.
Allerorts hing das Geflügelte Schwert auf Flaggen, Wimpeln und Fahnen. Die Nacht war klar und kühl. Reihen von Scheinwerfern bohrten ihre Strahlenlanzen in den dunklen Himmel, wo vorbeizischende Drachenschiffe blaue Feuernarben hinterließen.
Telios’ Blick schweifte über die anderen Ordensmitglieder, mit denen er sich die Sonderplätze ganz nahe am Geschehen teilte. Unter ihnen erkannte er viel zu viele alte Bekannte, die zu Fremden geworden waren; ehemalige Freunde von seiner Zeit auf der Akademie, und Offiziere, unter denen er gedient hatte. Er sah sie an und dachte: Wer von euch ist keiner von uns?
Gerade hatte der letzte Kadett, ein Yadi namens Obin von den Roten Zweigen, sein Miniatur-Sakedo entgegen genommen und flog berstend vor Stolz zurück in die Reihen seiner Kameraden. Telios stimmte lahm in die gewohnte Applauswelle ein. Dann hallte erneut die samtig-schnurrende Stimme von Direktorin Kelwai über den Platz: »Friedenswächter, verehrte Gäste, Bürger von Kenlyn – ich begrüße nun den Schirmherr dieser Zeremonie, Seine Exzellenz, Gouverneur Syl Ra Van.« Die Skria nahm sofort Haltung an. Wer bis eben noch gesessen hatte, machte, dass er auf die Füße kam und salutierte, als Lichtstrahlen das überlebensgroße Gesicht Syl Ra Vans über der Bühne formten. Telios beobachtete, wie die Wesen um ihn herum den Atem anhielten, ihre Blicke voller Ehrfurcht und Ergriffenheit. Er konnte ein humorloses Lächeln nicht unterdrücken: Unser maschineller Gott spricht zu uns. Hurra!
Die Maske aus Bronze und schwarzem Metall sah mit lichtlosen Augen auf die Köpfe der Anwesenden herab; die Schriftzeichen an ihren Rändern pulsierten, einem roten Herzschlag gleich.
» Dies ist eine denkwürdige Nacht «, geisterte die Flüsterstimme aus den versteckten Lautsprechern. Auf dem Exerzierplatz herrschte absolute Stille. » Wir heißen euch in den Reihen des Ordens der Friedenswächter willkommen. Die Natur des Universums ist Chaos. Ihr seid die Kraft, die sich ihm entgegen stellt. Ihr werdet hinausgehen und das Gesetz in die Welt tragen, als Bewahrer des Großen Friedens, als Diener der Gerechtigkeit. Wir sind stolz auf euch. «
Die Maske löste sich auf. Donnernder Applaus folgte.
Telios klatschte lustlos mit. Es waren die gleichen Sätze, die er vor über zwanzig Jahren bei seinem eigenen Abschluss gehört hatte; die gleiche Ansprache, die alle Absolventen der Akademie mit auf ihren Weg bekommen hatten, seit Syl Ra Van sich vor dreihundertundvier Jahren zum Oberbefehlshaber der Friedenswächter und zum Alleinherrscher von Kenlyn aufgeschwungen hatte. Er erinnerte sich noch zu gut, wie ihm damals Tränen in den Augen gestanden hatten. Heute schmeckten diese Worte nach Asche.
Trotzdem verfehlte Syl Ra Vans Auftritt auch auf ihn nicht seine Wirkung. Und das beunruhigte Telios: Nach allem, was er über die Machenschaften des Gouverneurs wusste, dürfte er sich nicht mehr so leicht beeindrucken lassen. Andererseits war es gar nicht so lange her, dass er selbst die Maske noch mit aller Kraft angebetet hatte. Nur ein halbes Jahr war vergangen, seit sein Glaube an seinen Regenten erschüttert worden und letztlich zerbrochen war.
Schließlich spielte die Kapelle die Diamantene Hymne, man legte die Hand aufs Herz und sang. Ulumwas und Pauken wurden geschlagen, Trompeten und Glingdanis geblasen, begleitet vom Tuten aus den Schädelhörnern von Draxyll-Sängern. Damit war der formale Teil des Abends beendet. Telios war froh darüber.
Der Silberne Saal lag unter einer Dachkuppel im Westflügel der Akademie und war seit seinem letzten Besuch unverändert geblieben: die Wände weißgetüncht, mit silbernen Mandalas darauf; der Fußboden aus elfenbeinfarbenen und zartblauen Marmorplatten, in denen sich sein Gesicht widerspiegelte, wenn er nach
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