Rückkehr nach Kenlyn
wir zusätzliche Schichten einlegen, noch vor Ende der Woche. Dafür lege ich mein Horn ins Feuer.«
Liyen lächelte. »Ich hoffe, soweit wird es nicht kommen. Aber ich weiß den Einsatz zu schätzen. Gute Arbeit, Xon-Dur. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
»Selbstverständlich, Gebieterin.« Die Kryptomaschinistin verneigte sich, bis ihr Schnabel fast den Boden berührte. Liyen überlegte, ihr zu sagen, sie solle das lassen.
Sie bewegte sich in Richtung Ausgang, gefolgt von ihrer Leibgarde. Die Wesen, die sie dabei passierte, beeilten sich, sich vor ihrer Herrin zu verbeugen oder zu salutieren – etwas, dass sie selbst nach einem Jahr noch als unangenehm empfand.
» Ich hoffe, die Dinge Zuhause laufen zu Ihrer Zufriedenheit, Gebieterin «, hatte Galet gesagt. Taten sie das?
Zwei Tage waren seit Xanata vergangen. Seitdem hatte die alte Geistermaske ein paar halbherzige Spendenaktionen ins Leben gerufen, doch darüber hinaus nichts unternommen. Stattdessen hatte sie den zivilen Hilfsorganisationen die Arbeit überlassen, die deren Mittel bei weitem überforderte. Währenddessen ließen Syl Ra Vans Propagandaleute über die öffentlichen Geisterkuben – die »Lügenwürfel«, wie man sie im Kult nannte – verkünden, dass alles in bester Ordnung sei. Das bisschen Dunkler Äther? Kein Grund zur Beunruhigung. Sobald die Toten in Tüten gesteckt, mit Salz überschüttet und vergraben worden waren, würde alles wieder seinen geregelten Gang nehmen.
Liyens Hände ballten sich zu Fäusten. Sie war längst nicht zynisch genug, Syl Ra Van für seine Gefühlskälte dankbar zu sein, auch wenn sie der Sache des Kults letzten Endes dienlich war.
Dreihundert Jahre unter seiner Herrschaft – dreihundert Jahre des erzwungenen Friedens – und viel zu viele Bürger fanden es bequemer, den Worten des Gouverneurs Glauben zu schenken. Wenn Syl Ra Van sagte, die Situation sei unter Kontrolle, dann gab es keinen Grund, daran zu zweifeln, solange die verseuchten Städte unter Quarantäne blieben und die Strahlung nicht in ihre Richtung geweht wurde. Natürlich war es schrecklich, all die vielen Toten – aber das Leben musste schließlich weitergehen.
Glücklicherweise ließen sich nicht alle von seinen Worten einlullen.
Liyen hatte die Aufzeichnungen gesehen: Bilder von wütenden Demonstranten, die durch die Straßen zogen und dem Gouverneur und seinen Weißmänteln ihre Wut, ihre Trauer und ihre Ohnmacht entgegenbrüllten.
Und als Antwort hatten die Weißmäntel ihre Sonnenaugen und Sakedo gezückt.
Sie hatte geweint, als sie diese Bilder gesehen hatte.
Natürlich war es der Kult selbst, der die Wut der Bürger angestachelt hatte. Und diese Wut durfte sich nicht so bald wieder legen, dessen war Liyen sich bewusst. Zu diesem Zweck hatten ihre Leute eine ganze Bibliothek an Schmähschriften in Umlauf gebracht; aufrührerische Flugblätter, die von Hand zu Hand gingen und von den Verbündeten des Kults unauffällig in Universitäten, Manufakturen und Tempeln verteilt wurden. Kämpft , sagten sie. Bald wird sich alles ändern. Alle Tyrannen fallen irgendwann.
Unterzeichnet waren sie allein mit der Rune Shadûr . Den wenigsten sagte dieses Symbol etwas. Doch wenn der Kult sein Dasein im Schatten aufgab, würde man die richtigen Zusammenhänge herstellen – und erkennen, wer seit Monaten auf der Seite des Volkes gestanden und es vor Syl Ra Vans Machenschaften gewarnt hatte.
»Gebieterin.« Eine blecherne Stimme ließ sie stehen bleiben. Einer ihrer Leibwächter deutete zu einem anschwebenden Geisterkubus. Das Gesicht von Kriegsminister Weron hatte sich in dem Kristall materialisiert. Der alte Yadi war noch ernster als sonst. Er salutierte. »Gebieterin, ich habe Neuigkeiten.«
»Von Telios?« Es war Stunden her, seit sie von der Festnahme des Admirals erfahren hatten. Liyen war überrascht gewesen, wenn auch nicht sehr. Soweit sie wusste, wurde Telios derzeit im Hauptquartier des Sonderausschusses Nummer Neunzehn festgehalten und von Varkonn Monaro höchstpersönlich verhört.
Monaro. Wut stieg in ihr auf: Diese Kreatur hatte ihnen viel zu viele Schwierigkeiten gemacht. Liyen kam nicht umhin, Andar Telios zu bewundern: Selbst unter dem größten Druck hatte er an seinen Vorstellungen von Moral und Anstand festgehalten. Monaro dagegen – manchmal zweifelte sie, ob er überhaupt ein Mensch war; sie stellte sich vor, wie man seinen Bauch aufschlitzte und kleine Zahnräder und Sprungfedern aus der Wunde fielen. Kein Wunder,
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