Rückkehr nach Kenlyn
Bewusstsein. »Über fünftausend Jahre alt, durch die Jahrhunderte immer wieder vergangen und neu auferstanden. Ich habe nie einen schöneren Ort gekannt.« Er blickte zu seinem Schüler. »Warum? Warum hast du das getan? Warum bist du hierher gekommen?«
Kai versuchte, dem silbernen Blick des Sha Yang auszuweichen, doch es war nicht möglich. Nicht hier, nicht in diesem Gefängnis. Er erklärte seinem Meister, dass er es für ihn getan hatte. Dass er es ihm schuldig gewesen war.
Yu Nan neigte bekümmert sein Haupt. »Du hättest es nicht tun dürfen, Kai. Du hättest dich selbst retten sollen ...«
Die singende Stimme verblasste zusammen mit Yu Nan, und dröhnend brach der Sturm wieder los. Seine Macht ließ den Turm erbeben, zerfetzte die Wände, als bestünden sie aus dünnem Papier. Ein Mahlstrom aus Staub und Kristall packte Kai und saugte ihn in sich hinein, riss ihm das Fleisch von den Knochen. Kai schrie und schrie ... und schreckte keuchend aus dem Schlaf.
Ein Schweißtropfen, braun vor Staub, landete auf seiner Decke. Wie jedes Mal brauchte Kai einige Herzschläge, um sich zu beruhigen.
Natürlich hörte er das Dröhnen immer noch. Es war die Stimme des Sturms, die sich von draußen in seinen Traum geschlichen hatte.
Halt. Kai stutzte. Er hob den Blick zum Fenster und erschrak: Die Atmosphäre war dunstig und grau, doch er sah Sonnenstrahlen, die wie zerbrechliche, gelbe Klingen durch das Leichentuch aus Wolken schnitten. Die Sonne! Der Sturm hatte sich gelegt, zum ersten Mal seit Tagen. Dennoch hielt das Geräusch noch immer an. Und das bedeutete, es war nicht der Sturm, den er hörte, sondern –
Antriebe! Schiffsantriebe! Von neuer Energie erfüllt sprang Kai auf die Beine; er rannte durch sein Lager, froh darüber, wie so oft in Kleidung und Schuhen geschlafen zu haben, bereit für eine schnelle Flucht.
Beinahe stolpernd eilte er die Treppe hoch und riss die Tür zum Dach auf. Draußen sah er hinauf zu den träge dahin ziehenden grauen Wolken; ein Sonnenstrahl traf sein Gesicht, ohne nennenswerte Wärme zu spenden, und eine leichte Böe traf kalt seine Wangen, während er lauschte. Das Geräusch war unverkennbar: ein stetiges Kreischen und Dröhnen, maschinell, künstlich. Es kam aus südlicher Richtung!
Er wirbelte herum – und schrie vor Freude!
Ein Drachenschiff kam durch den Staubschleier auf den Turm zugeflogen, nur etwa einen Kilometer entfernt. Er erkannte schnell, dass es entgegen all seiner Hoffnung nicht die Korona war – dieses Schiffsmodell war größer, schnittiger. Doch das dämpfte seine Begeisterung nicht.
Drei Antriebsflammen (eine am Heck, jeweils eine an den Flügelspitzen) strahlten wie blaue Leuchtfeuer im Nebel. Die ehemals chromfarbene Hülle wirkte verbeult und rostig, und die Brückenkuppel schien aus schwarzem Glas zu bestehen, sodass er nicht erkennen konnte, wer das Ding flog. Aber nur eines zählte: Er war nicht mehr allein!
Während seine Haut glühte wie im Fieber, rannte Kai zur Mitte des Dachs, winkte und hüpfte und schrie. »Ich bin hier!«, rief er, so laut er konnte. Wenn sie ihn schon nicht sehen konnten, dann ganz bestimmt die Lichtkugeln um ihn herum. »Ich bin hier!« Er hustete, als ihm Staub in die Kehle drang, doch das kümmerte ihn nicht. Heiße Tränen liefen ihm über die Wangen. Nach sechs Monaten ein Lebenszeichen! Nach einem halben Jahr die Rettung!
Die Maschine hielt immer noch auf seinen Turm zu, wurde größer und größer, schälte sich immer deutlicher aus dem grauen Schleier – bis Kai die dicke, schwarze Rauchwolke sah, die aus der Schubdüse achtern strömte.
Er hörte auf zu winken. Das Schiff war in Schwierigkeiten! Aber vielleicht bekam der Pilot eine Notlandung auf dem Dach hin! Breit genug dafür war es, und das Schiff hatte fast die richtige Höhe. Nur noch knapp zweihundert Meter, bis es den Turm erreichte ... hundertfünfzig, einhundert Meter! Das Dröhnen kam immer näher, wurde ohrenbetäubend. Geh mit der Geschwindigkeit runter , flehte Kai. Drossel die Antriebe, dann kannst du es schaffen!
Nichts dergleichen geschah. Wie ein hausgroßes Geschoss raste die Maschine unbeirrt auf ihn zu, und Kai begriff, dass der Pilot die Kontrolle über das Schiff verloren hatte. Es jagte weiter auf ihn zu, und er brauchte lange, viel zu lange, um seine vor Panik gelähmten Glieder in Bewegung zu setzen, loszurennen, raus aus der Flugbahn.
Zu spät: Das verrostete Ungetüm hatte ihn schon eingeholt, er konnte sein verzerrtes
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