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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Weihnachtstee hereinzukommen. Sie lehnten ab. Ihr Wagen stand auf dem Weg, am Waldrand.
    »Sind Sie Tyrone Meehan?«, fragte der Jüngere.
    Ich nickte.
    Sein Gesicht war schwärzlich von einer Kinderkrankheit. Er nahm ein Heft aus seiner Jacke. Der andere spähte durch die offene Tür in meine Behausung. Das große Zimmer mit den leeren Wänden, die Spüle ohne Wasser, die Gaslampe auf dem unaufgeräumten Tisch, die Kerzen, das Feuer im Kamin, der Boden aus gestampfter Erde.
    »Zurück im Lande?«, fragte der Ältere und filzte dabei meinen Blick.
    Ich nickte. Ich hatte die Hände in den Hosentaschen und nur einen Pullover an.
    »Sie wollen hierbleiben?«
    »Ich bleibe.«
    Der Polizist schrieb mehr in sein Heft als die zwei Worte. Als ob er seine Eindrücke notierte.
    »Leben Sie allein?«
    Ich nickte wieder. Was sollte ich antworten? Sie wusstenes ohnehin und alles andere auch. Seit dem ersten Tag patrouillierte die Garda Síochána auf der Straße und beobachtete mein Eremitenleben. Sie haben gesehen, wie Sheila mir Lebensmittel und Bier brachte. Gestern haben sie mich sogar fotografiert, als ich aus dem Pub kam. Ich hatte mich schon gefragt, wann sie sich endlich trauen würden, in den Lehmweg einzubiegen und an meine Tür zu klopfen. Jetzt, wo sie mir gegenüberstanden, war ich enttäuscht. Der Jüngere mied meinen Blick und schrieb unaufhörlich. Der andere zählte die Falten auf meiner Stirn.
    Ich holte den alten sliotar aus der Tasche. Ich musste meine Hand beschäftigen.
    »Sie … Sie passen schon auf sich auf, ja?«
    Der Junge fragte das, einfach so. Und biss sich auf die Lippe. Ich lächelte, ohne zu antworten.
    »Das war eine Frage, Mister Meehan«, fasste der andere nach.
    »Fürchten Sie, bald eine Leiche am Hals zu haben?«
    Der Junge wollte widersprechen. Aber der Alte sagte, ja, so sei es. Ganz genau. Im Dorf fange schon das Gerede an. Man habe mich erkannt. Zuerst der Krämer, dann der Typ von der Post. Der Wirt vom »Mullin’s« habe schon über ein Lokalverbot nachgedacht. Keiner hier wolle mich kritisieren oder gar verurteilen. Sie hätten nur Angst um sich.
    »Killybegs ist ein friedliches Dorf, Meehan. Verstehen Sie? Sie wollen nicht zwischen die Fronten geraten.«
    Meehan. Nicht Tyrone, nicht Mister, nur der Familienname.
    Ich erstarrte. Begann zu zittern. Der lederne Ball fiel zu Boden. Der junge Cop hob ihn auf und gab ihn mir zurück.Es war das erste Mal seit jener Nacht vom 16. Dezember, dass mich jemand nur mit dem Familiennamen ansprach. Damals hatte mich die IRA festgenommen und heimlich zum Verhör in die Republik geschafft. Auf der Autofahrt hatte ich Angst vor einer Exekution. Ein Schuss auf einem Lehmweg, irgendwo hinter der Grenze. Das hatten sie oft gemacht. Ich auch. Eine Kugel in jedes Knie, die letzte in den Nacken.
    Es waren zwei Wagen im Konvoi. Im ersten zwei Verantwortliche der republikanischen Partei, ein Mitglied der Belfast-Brigade und Mike O’Doyle, Sohn von Gráinne, ein tapferer Kerl. Den kannte ich schon seit seiner Geburt vor vierzig Jahren, seine Tochter war mein Patenkind. Ich saß im zweiten Fahrzeug hinten, eingeklemmt zwischen Peter Bradley und Eugene Finnegan, einem Jungen von achtundzwanzig Jahren, der sich für einen Kämpfer hielt. »Pete der Killer« hatte von Belfast bis zu den Vorstädten von Dublin eine Hand auf meinem linken Knie. Eugene, das »Bärchen«, schlief während der ganzen Fahrt. Ich hatte ihn oft in republikanischen Clubs gesehen. Schmiere stehen in unseren Straßen, defilieren bei Gedächtnisfeiern. Auf einer Osterparade des Zweiten Bataillons der Belfast-Brigade habe ich ihn einmal aufgefordert, seine Haltung zu korrigieren. Er trug die grüne Uniform der irischen Republik, ein Barett, eine schwarze Brille, ein Gehänge und weiße Handschuhe. Ich hatte ihn trotz seiner Sturmhaube erkannt. Ich rief ihn leise »Bärchen«, wie ein Vater seinen Sohn. Er senkte den Blick, überrascht von dieser plötzlichen Blöße. Er war der Krieger, ich war sein Vorgesetzter. Und in dieser Dezembernacht viele Jahre später, nachdem ich zum Verräter geworden, er aber Soldat geblieben war, nannte er mich immer noch beimVornamen. Er war meine letzte Verbindung zu den Lebenden, ein feiner Faden.
    Meine Bewacher waren nicht bewaffnet. Der Waffenstillstand war mein Glück. Vor Jahren, lange vor alldem, hatte ich einen Spitzel zum Verhör eskortiert. Wir waren zu fünft, in gelben Sicherheitsanzügen mit grauen, reflektierenden Streifen, zusammengepfercht in

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