Rückkehr nach Killybegs
anzuschließen. Die Lehrer gingen von cumann zu cumann , um die Fianna zu unterrichten. Ich hatte noch die ganze Geschichte unseres Landes vor mir. Alles, was ich von unserem Kampfkannte, waren die Taten und alkoholschweren Worte meines Vaters. Wenn ich wichtige Daten und berühmte Namen wusste, dann ohne deren Bedeutung zu begreifen. Mein kindliches Credo war: »Brits out!«, Briten raus. Die Überzeugung hatte mein Vater mir vererbt, sonst nichts.
Einmal hatten wir eine Frau als Lehrerin. Wir waren nervös, die Gruppe war gespalten. Seit einer Stunde erklärte sie uns, dass der Krieg, der Europa verheerte, unsere Partei, unsere Armee, unser Volk nicht betreffe. Dass wir aber vielleicht dabei gewinnen könnten. An die improvisierte Tafel – auf eine Holzplatte geklebte Schieferplatten – hatte sie den Satz geschrieben, den James Connolly, ein irischer Gewerkschafter, Soldat und Märtyrer, 1916 gesagt hatte: »Wir dienen weder König noch Kaiser, sondern Irland!« Am Ostermontag, als die Briten an der Seite der Amerikaner und Franzosen in den Schützengräben an der Somme kämpften und die Protestanten Nordirlands, die sich massenhaft der Armee des Königs angeschlossen hatten, zu Tausenden an vorderster Front hingemetzelt wurden, erhoben sich die irischen Republikaner im Herzen Dublins. Eine Handvoll Helden mit Waffen in der Hand. Die Briten schrien: »Verrat, ihr habt uns ein Messer in den Rücken gestoßen!«
»Verrat?«, empörte sich die Lehrerin. »Wen oder was sollen sie denn verraten haben?«
Wir seien nicht mit den Briten verbündet gewesen, sondern von deren Soldaten besetzt, von deren Polizisten gefoltert und von deren Justiz eingekerkert worden. Dieser Krieg habe sie geschwächt und daher uns gestärkt.
Wir hörten aufmerksam zu. Wie die Aufständischen dasHauptpostamt eroberten und auf dessen Stufen die Unabhängigkeit proklamierten, dann die brutale Repression und Vernichtung, als ein Anführer nach dem anderen an die Wand gestellt wurde. Die blutige Niederlage, die keine war. Die glosende Glut, die bald das ganze Land in Brand setzen sollte.
Wir durften Fragen stellen. Danny Finley meldete sich. Ob es denn keinen Unterschied zwischen 1916 und 1942 gebe, zwischen einem imperialistischen Gemetzel und einem Weltkrieg, zwischen Kaiser Wilhelm II. und Adolf Hitler? Ob die IRA nicht, wie ganz Irland, hätte neutral bleiben sollen? Ich erinnere mich an diesen Moment. Wir waren ungefähr zwanzig Jungen in dem Lokal in der Kane Street.
»Willst du der IRA vielleicht vorschreiben, was sie zu tun hat, Finley?«, fragte ein Fianna.
Dann fingen alle gleichzeitig zu reden an. Unsere Aufgabe sei es nicht, zu kritisieren, sondern zu gehorchen. Die Leute im Armeerat, im Nordkommando, im Zentralkomitee der Partei wüssten schon, was gut sei für Irland. Ich hatte Toms sliotar aus meiner Tasche genommen und rollte ihn zwischen den Händen. Danny gab nicht auf.
»Und was passiert, wenn ein IRA-Kämpfer irrtümlich einen amerikanischen Soldaten umbringt? Könnt ihr mir sagen, was dann passiert?«
»Warum sollte die IRA einen Amerikaner umbringen?«
»Weil es dreißigtausend sind, weil sie überall sind, in den Städten und auf dem Land. Könnt ihr euch das vorstellen? Ein republikanischer Kämpfer, der den Falschen trifft? Ein óglach , der auf einen englischen Soldaten zielt und stattdessen einen Yankee erschießt, der Schokolade und Kekse an die Kinder verteilt?«
»Du siehst zu viele Filme, Danny!«
Ich zeigte auf. Kam ihm zu Hilfe.
»Mein Vater war Sozialist und Republikaner, er wollte in Spanien gegen die Franquisten kämpfen. Heute sind Franco und Hitler Freunde. Und wo stehen wir?«
»Weißt du, wer der Anführer der Connolly-Kolonne der Internationalen Brigaden ist?«, fragte die Lehrerin.
Natürlich wusste ich das. Mein Vater hatte ihn nie kennengelernt, aber ihn als seinen künftigen Chef angesehen.
»Mit Frank Ryan vernichten wir die irischen Faschisten, die Blauhemden, die ganzen britischen Drecksäcke!«, hatte mein Vater immer gesagt.
Für ihn war »Brite« ein anderes Wort für Schwein. Jeder, der ihn provozierte, ob auf der Straße oder im Pub, war Brite.
»Frank Ryan«, sagte ich.
»Und weißt du, wo Frank Ryan heute ist?«
Nein. Das wusste ich nicht. In spanischer Gefangenschaft wahrscheinlich oder tot.
»In Berlin«, sagte die Lehrerin.
Ich war baff. Er, der Sozialist, der Internationalist, der Rote, in Berlin?
Mir blieb der Mund offen stehen.
»Ein Problem für Großbritannien
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