Rückkehr nach Killybegs
weißt du! Wie lange ist das jetzt her, dass du nicht mehr beim Gottesdienst warst?«, fragte Father Gibney nachdenklich, währender dem Barmann ein Zeichen gab, den Zapfhahn zu bedienen. »Bestimmt zwei, drei Monate, oder?«
»Oder mehr!«, scholl es heiter aus einer Ecke des Pubs.
»Oder mehr, Joe McCann, oder mehr …«, lachte der Priester und reichte ihm sein Schwarzbier.
Dann stieß er mit ihm an: der Priester mit seinem goldschimmernden Glas, der Sünder mit seinem Tintenpint.
»Du könntest doch nächsten Sonntag zur Messe kommen! Nelly und die Kinder begleiten! Na? Was hältst du davon, Joe McCann? Gute Idee, was? Und dann setzt du dich in die erste Reihe, wegen deines Ohrs, okay?«
Ein Arm um die Schulter des Sünders, ein honigsüßes Lächeln, ein kurzer Blick zur Decke.
»Ihm hast du nämlich auch schon gefehlt, glaube ich, weißt du …«
Joe nickte und lächelte matt, bevor er zum Trinken ansetzte.
Ich hob mein Glas. Es war fast leer, und der Kellner zapfte das nächste Bier.
Da stieg Father Gibney von seinem Hocker. Nahm einen Stuhl und setzte sich zu mir.
»Darf ich?«
»Sie dürfen.«
Sein Glas hatte er mitgebracht. Trank es in einem Zug aus. Stützte die Ellbogen auf den Tisch und faltete die Hände vor seinem Mund.
»Ein alter Freund möchte Sie sehen«, murmelte er und sah mich dabei seltsam an. Ich war nervös.
»Mich sehen?«
»Und mit Ihnen reden.«
Ich hatte die Lippen im Schaum und ließ mir Zeit. Suchte den Grund seiner Augen ab.
»Mit mir reden?«
»Wenn Sie es auch wollen, ja.«
Mit mir reden? Solche Gespräche mag ich nicht. Ich habe gestanden und weiter nichts zu sagen. Ich knallte mein Pint auf den feuchten Tisch. Ich hatte verstanden.
»Meinen Sie Joshe?«
»Ja. Er ist Franziskaner und lebt jetzt in einem Kloster in Athlone.«
»Joshe!«, wiederholte ich mit beklommenem Herzen.
»Hier nennt man ihn Father Joseph Byrne. Er ist für zwei Tage wieder in der Heimat.«
Joseph Byrne, Father Donoghues Engel. Der Bengel, der für unsere kleine Fetzenbrigade in den Torfgräben gesungen hatte. Joshe, der leprechaun , der Elf, der Gott gedankt und für uns gebetet hatte, der den Gormley-Brüdern trotzte, ohne die Ärmel aufzukrempeln.
»Er möchte Sie treffen. Er hat mich gebeten, Ihnen diese Nachricht zu übermitteln.«
»Er will mich treffen? Warum? Wozu?«
Ich wurde lauter. Ich war beunruhigt.
Der Priester stand auf. »St Mary, morgen, Mittwoch?«
Das war ein Befehl. Am nächsten Tag würde Joshe weiterreisen, nach Belfast. Ja, sagte ich, einverstanden, klar. Sehen ja, reden nein. Ich wollte nur sicher sein, dass Gott ihn nicht zum Märtyrer machte.
7
Onkel Lawrence starb am 17. März 1942, am St Patrick’s Day. Ein Dach hatte unter seinem Gewicht nachgegeben. Er war ausgerutscht und nach hinten gefallen, auf den Nacken, die Augen gen Himmel, die Arme ausgebreitet. Ganz Irland war auf seinem Begräbnis, so kam es mir jedenfalls vor. Hinter dem Dudelsackspieler im safrangelben Kilt schritt Mama mit einem mageren Kranz. Dann Róisín, Mary, Áine, Klein-Kevin, Brian, Niall und Séanna. Ich hatte Baby Sara im Arm und ging in der ersten Reihe der Männer mit.
Lawrence Finnegan war kein IRA-Mitglied gewesen, dennoch ehrte die Bewegung ihn mit einer Fahne, getragen von einem Fianna, der mit dem Wind kämpfte. Wir waren Hunderte. Viele Gesichter von außerhalb. Séanna und Tom Williams halfen beim Anheben des Sargs, ich nicht. Der Sarg ging von Schulter zu Schulter, ohne dass mir jemand ein Zeichen gab. Ich war offenbar zu jung oder zu klein, nur zur Begleitung zu gebrauchen. Ich war nicht traurig. Dabei stirbt die Trauer in Irland zuletzt. Ich marschierte mit den Nachbarn, den Freunden, den ehemaligen Gefangenen, folgte den IRA-Soldaten, die in drei langen schwarzen Reihen durch die Straße zogen. Ich war stolz auf diese Menschenmenge, glücklich,den Meehans und den Finnegans anzugehören, und stolz, in die Fußstapfen meines Anführers zu treten, Officer Williams.
Die Mütter im Viertel murmelten, Tom trage zu viel Leid in sich. Die Väter sagten, diesem Blick würde selbst der Tod weichen. Zusammengezogene Brauen, schmerzlich gerunzelte Stirn. Wenn ein Gefühl ihm den Atem verschlug, wurde sein Blick glanzlos. Er wirkte gequält. Atmete schwer. Ein Kindheitsasthma nahm ihm die Luft. Einmal hatte ich ihn zum Lachen gebracht. Daher wusste ich, dass sich hinter dieser Melancholie Klein-Tom verbarg.
Am Abend der Beerdigung sprachen wir beide auch über den Tod. Toms
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