Rückkehr nach Killybegs
Würde und unserem Mut zu finden.
Samstag hat Sheila mir gesagt, dass er angerufen hat. Mich treffen möchte. Was der wohl will, der kleine Franzose? Mich richten? Mich verstehen? Oder seinen Anteil am Verrat reklamieren?
6
Killybegs, Dienstag, 26. Dezember 2006
Der Wirt des »Mullin’s« war nie nett zu mir gewesen. Seit dem Besuch der Polizisten wurde er feindselig. Gestern verrückte er, nachdem ich weg war, den runden Tisch meines Vaters und stellte den Garderobenständer an seine Stelle. Heute Abend war viel los im Pub, als ich kam. Die Köpfe drehten sich schweigend nach mir um. Der Kellner hinter der Theke verzog sein Gesicht wie ein angewiderter Hund sein Maul. Mit verschränkten Armen gab er mir zu verstehen, dass ich hier nichts mehr verloren hätte. Es ging um mein Überleben. Diese düstere Kapelle mit dem sauren Geruch war die letzte Etappe des Kreuzwegs von Patraig Meehan gewesen. Seine letzte Zuflucht als Lebender. Von hier aus wollte er im Winter in den Tod gehen. Hätte das Meer ihn genommen, wäre diese dunkle Ecke sein Grab. Ich konnte nicht dulden, dass diese Menschen sie entweihten.
Ich ging quer durch den Pub und gönnte all den Blicken keinen Blick. Zog meinen Regenmantel aus, hängte ihn an den Garderobenständer und schleppte diesen an seinen gewohnten Platz auf der anderen Seite des Raumes, wobei ich seine geschwungenen Füße über den schmierigen Boden schrappen ließ. Anschließend hob ich den Tisch meines Vaters zurück an seinen Platz. Meine Arme waren Meehan-Arme,wie seine, mit Fäusten am Ende. Dann schnappte ich mir einen von den Stühlen, die neben der Tür gestapelt waren. Trug ihn natürlich auch nicht, sondern schleifte ihn langsam durch den Raum. Stellte ihn mit der Lehne an die Wand, wie er seit meiner Kindheit gestanden hatte. Nahm mein Mobiltelefon heraus und steckte es zum Aufladen an. Strom nahm ich, wo ich ihn fand. Dann ging ich zur Theke. Bestellte zwei Guinness. Auf einmal. Wortlos. Nur zweimal mit dem Zeigefinger den Zapfhahn angetippt. Der Kellner sah fragend zum Wirt. Der zuckte die Achseln, bevor er im Keller verschwand, um ein neues Fass zu holen. Also zapfte der Barmann meine Biere, langsam, sorgfältig, zapfte zweimal nach, die Gläser geneigt in seiner bäurischen Hand. Ließ mich dabei nicht aus den Augen. Das starke Gebräu, das Häubchen aus braunem Schaum, unsere gefangenen Blicke. Ich hatte die Stirn erhoben, forderte ihn aber nicht heraus. Ich war Patraig und Tyrone, die Würde des einen und die Schwäche des anderen. Ganz entspannt. Dann ging ich an den Tisch meines Vaters zurück und trank das erste Bier in einem Zug, einen ordentlichen Schluck Erde.
Father Gibney beobachtete mein Spiegelbild. Er saß mit dem Rücken zum Gastraum auf seinem Hocker und verfolgte das Geschehen in dem fleckigen Spiegel hinter der Theke. Der Priester Séamus Gibney, ein Riese, drehte Tag für Tag nach dem Angelus seine Runde durch die Pubs, um die Männer daran zu erinnern, dass Sonntag Messe war. Er brauchte nur seine Stimme zu erheben, um eine Schlägerei zu beenden, und die Streithähne streng anzusehen, damit sie sich die Hand gaben.
An diesem Abend musste er seine Stimme nicht erheben. Seit ich da war, war keiner dem Garderobenständer oder dem Tisch zu nahe gekommen, niemand forderte mich heraus. Nach und nach hatten die alten Gewohnheiten wieder die Oberhand im Pub gewonnen.
Séamus Gibney ließ seinen Whisky stehen, als die Tür aufging, und fuhr auf seinem Hocker herum.
»Nein, das gibt’s doch nicht! Joe McCann! Der alte Joe!«
Der klopfte seine Regenmütze an seinem Schenkel aus und verfluchte den Himmel, dass er zu dieser Zeit in den Pub gehen musste.
»Kennst du den schon, Joe? Hör mal …« Die laute Stimme war für das Publikum bestimmt.
McCann wusste, was ihm blühte. Wenn sich ein Messe-Deserteur in den Pub wagte, empfing ihn der Priester stets mit erhobenem Glas, nannte ihn beim Vornamen, erzählte ihm den Witz des Tages und ging dann zu Vorwürfen über.
»Joe McCann kommt aus der Kirche und trifft Father Gibney. Fragt der: ›Hat dir meine Predigt gefallen?‹ Sagt McCann: ›O ja, Vater. Ich lerne jeden Sonntag neue Sünden von Ihnen!‹«
Der Priester brüllte vor Lachen. Und der ganze Saal mit ihm.
»Na, komm schon, Joe!«, lud er lächelnd den Sünder ein.
McCann ging zum Tresen und bot dem Arm des Priesters seine Schulter an.
»Ich hab mir schon Sorgen um dich gemacht, Joe. Ab und zu könntest du dich wirklich mal blicken lassen,
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