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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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ist eine Lösung für Irland«, sagte die Lehrerin.
    Wir waren noch Kinder. Ich blickte in die Gesichter meiner Freunde. Wir wollten für die Freiheit unseres Landes kämpfen, sein Andenken ehren, seine schreckliche Schönheit schützen. Unsere Abkommen und Allianzen waren uns ziemlich egal. Wir waren bereit, füreinander zu sterben. Wirklich zu sterben. Und einige haben auch Wort gehalten.
    Ich stellte keine Fragen mehr. Und Danny behielt seine für sich.
    Wir beide würden gegen die Engländer Krieg führen, wie unsere Väter. Und unsere Großväter. Fragen hieß Verzagen.
    Ende Februar 1942 wurde mir meine erste Pistole anvertraut.
    Tom Williams hatte uns im ganzen Viertel postiert. Die Mädchen hatten als Erkennungszeichen eine grüne Schleife im Haar, die Jungen den rot-weißen Schal des Fußballclubs von Cliftonville. Es war ein Wochentag, das Solitude-Stadion war geschlossen.
    »Heute ist kein Match, Kinder!«, riefen Männer uns lachend zu, als wir würdevoll die Bürgersteige entlangschritten.
    Die republikanischen Soldaten konnten jeden Moment auftauchen. Wir postierten uns an den Kreuzungen und warteten auf sie. Ich lehnte in einem Torbogen, an der Wand eines unbekannten Hauses. Als der IRA-Mann angerannt kam, die Hand unterm Mantel, die Krawatte über der Schulter flatternd, schreckte ich auf. Er hielt mir einen Revolver hin. Er hatte einem Soldaten in den Hals geschossen. Ich nahm die Waffe mit beiden Händen entgegen und steckte sie in meinen Hosenbund. Mein ganzer Körper pochte, als ich die Straße überquerte. Nach ein paar Metern kam mir eine Frau entgegen, die ich nicht kannte. Sie trug einen Fußball in einem Weidenkorb. Hielt ihn mir wortlos hin. Dann nahm sie mich an der Hand. Das war mir ein bisschen peinlich. Ich, ein Fianna von sechzehn Jahren im aktiven Dienst, wurde von dieser Mutter wie ein Kind an der Hand geführt.
    »Jemand wird euch übernehmen. Lasst euch führen«, hatte Tom gesagt.
    Panzerfahrzeuge umstellten das Viertel. An den Straßensperren mussten sich die Männer mit erhobenen Armen von Polizisten durchsuchen lassen. Ein Soldat winkte uns heraus, sie mit ihrem Korb, mich mit meinem Ball. Die Frau behandelte mich wie einen Rotzlöffel. Ihre Stimme war schrill, laut, unangenehm. Jeden Tag verfluche sie den Himmel, dass sie so einen Blödmann in die Welt gesetzt habe. Der Brite zögerte. Warf mir einen mitfühlenden Blick zu, wohlwollend und komplizenhaft. Als hätten zwei unglückliche Kinder einander erkannt. Winkte uns durch. Ich lächelte zurück. Nicht um wegzukommen, sondern um mich zu bedanken.
    Dieses Zeugnis von Menschlichkeit hat mich lange verfolgt. Und irritiert. Unter so einer Armeemütze konnte doch kein Mensch stecken, bloß ein Barbar. Wer das Gegenteil dachte, war schwach oder ein Verräter. Das hatte ich von meinem Vater gelernt. Und Tom bestätigte es. Ich ging schneller, Hand in Hand mit dieser Frau – eine Kriegsmutter und ihr Kriegskind. Nie habe ich jemandem von dieser Begegnung erzählt. Weder von seinem Blick noch von meinem Lächeln.
    Wir gingen ins »Donegal’s«, einen Pub in Falls. Er war gesteckt voll. Kaum hatte der Wirt uns gesehen, öffnete er eine Stahltür zum Hof, wo zwei Männer auf Bierfässern saßen und auf mich warteten. Ich stand hilflos da. Einer von ihnen machte meinen Mantel auf. Als er den Griff der Waffe sah, wurde er blass.
    »So ein Vollidiot!«, murmelte er und zog den Revolver vorsichtig heraus.
    Der andere schüttelte den Kopf.
    »Was habe ich getan?«
    Der erste schaute mich an. Als ob er erst jetzt meine Anwesenheit bemerkte.
    »Wer? Du, Fianna?«
    »Nichts, kleiner Mann, du warst perfekt«, erwiderte der andere. Dann drehte er sich um, um die Waffe zu sichern.
    Ich stand wieder auf der Straße, ohne die tödliche Bürde auf dem Bauch, zwischen Hemd und Haut. Mir klapperten die Zähne. Der IRA-Mann hatte mir den Revolver hingehalten, ich hatte Zeit genug gehabt, ihn mir genau anzusehen. Der Hahn war gespannt, schussbereit. Mein Finger hatte den Sicherungsbügel berührt, den Abzug gestreift. Gut fünfzehn Minuten war ich so unterwegs gewesen, mit dem Revolver auf meinem Geschlecht. Beim geringsten Druck hätte sich ein Schuss gelöst. Der Tod ging um. Mich hatte er verschont. Wahrscheinlich hatte ich ihn zum Lächeln gebracht.

5
    Killybegs, Montag, 25. Dezember 2006
    Heute Morgen waren zwei irische Polizisten bei mir. Verlegenheit ihrerseits, Betrunkenheit meinerseits. Ich schlug ihnen vor, auf einen Wodka oder

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