Rückkehr nach Killybegs
Danny zog weiter sein Hemd an. Panik machte ihn nur noch ruhiger.
»Scheiße, da fehlt ein Knopf am Ärmel«, knurrte er.
Seine Hose war am Knie geflickt.
Draußen plärrten Lautsprecher von einem Panzerwagen, dass jegliche Versammlung untersagt und Demonstrieren in Zeiten des Krieges Verrat sei. Zu Beginn der Feindseligkeiten mit Deutschland waren Armeelaster durch unsere Viertel gestreift, um junge Katholiken zur englischen Fahne zu rufen. Der Ruf verhallte fast ungehört. Im Mai 1941 flohen über zweihunderttausend wehrfähige Nationalisten aus Belfast, Tausende weitere übernachteten auf Feldern und Hügeln rings um die Stadt, um den Rekrutierungsversuchen zu entgehen. Und unsere Väter, unsere Mütter, unsere Familien gingen tagtäglich zu Tausenden auf die Straße, um zu verhindern, dass ihre Söhne für den König starben. Am 27. Mai verzichtete London auf die Wehrpflicht für Nordirland. Nur Protestanten aus Ulster zogen für die britische Fahne in den Krieg.Mama hatte meine Uniform sorgfältig gebügelt. Dunkelgrünes Hemd, ebensolche Jacke mit geschlossenem Offizierskragen, Schulterklappen, zwei Reihen Kupferknöpfe, eine weiße Kordel für die Trillerpfeife und ein orangefarbenes Tuch. Der Gürtel war von meinem Vater, auch den Schultergurt hatte ich geerbt. Der Wagen des Feindes entfernte sich. Ich heftete das Abzeichen der Fianna, den Spieß der Aufständischen von 1798 vor einer glühenden Sonne, an mein Herz. Dann setzten wir uns oben auf die Treppe und warteten auf Befehle. Ich hatte meinen Hut schon auf, Danny seinen auf den Knien. Die breitkrempigen Baden-Powell-Filzhüte klauten wir dutzendweise aus Pfadfinderläden in Dublin und Cork. Irland und Großbritannien verfolgten unsere Geheimarmee, aber unsere Hüte konnten sie uns nicht verbieten.
Die Fianna traten fast gleichzeitig auf die Straße. Danny und ich standen hinter der Eingangstür der Costellos. Sheila schob einen Finger unter den Vorhang und spähte hinaus, ihr Vater hatte die Hand auf der Klinke. Er wartete. Endlich ertönte der metallische Pfiff. Gegenüber öffneten sich zwei Türen und entließen vier Scouts. Da gingen wir auch. Danny ließ uns auf dem Bürgersteig Aufstellung nehmen. Wir waren zehn. Gegenüber kamen noch ungefähr zehn aus einer Sackgasse. Und noch welche aus der Kashmir Road.
»Links! Links! Links, rechts, links!«
Die Stimme eines Offiziers. Wir setzten uns Richtung Falls Road in Gang. Ich zitterte. Wie blöd! Ich zitterte und klapperte mit den Zähnen. Dabei hatte ich so lange von diesem heroischen Augenblick geträumt. Ich, Tyrone Meehan, in Uniform und Gleichschritt. Und jetzt fürchtete ich mich. Oder fror. Das weiß ich nicht mehr. Mein Hut verdecktemeine Augen, aber ich wagte es nicht, ihn hochzuschieben. Die Mädchen der Cumann na gCailíní kamen mit grünen Röcken und hochgesteckten Haaren aus der Leeson Street. Rechter Arm, linker Arm, Paradeschwung. Wir marschierten mitten auf der Straße wie eine Kinderarmee.
Sheila ging hinter uns. Mit unserer Zivilkleidung im Beutel. Jedem Scout folgte in einiger Entfernung eine Mutter, eine Schwester oder Freundin. Als ich unsere Fahnen erblickte, traten mir Tränen in die Augen, ich musste lachen vor Glück und hatte Schreie im Bauch. Die riesige Trikolore unserer Republik! Noch nie hatte ich das Grün, das Weiß und das Orange so frei im Himmel flattern sehen. Und die wunderschöne Standarte der Fianna mit ihren goldenen Fransen und der azurgesprenkelten Sonne. Ein Junge trug die Nationalfarben, ein Mädchen das Fianna-Emblem.
Wir besetzten die Straße. Wir hatten sie den englischen Soldaten und den deutschen Bombern entrissen. Die Straße war irisch. Zurückerobert von Kindern in Soldatenuniform. Die Bewohner warteten vor ihren Türen auf dem Bürgersteig. Ringsum gaben IRA-Männer in Zivil knappe Befehle. Als die Fahnen sich in Bewegung setzten, strömten die Nationalisten von allen Seiten herbei. Eine schöne, würdige Menge. Gerührt, ängstlich, in Feierlaune oder in Sorge. Frauen und Hunderte Kinder, Männer, Alte, die sich für Offiziere hielten und den Kindern befahlen, die Reihen besser zu schließen. Eine Blaskapelle setzte sich an die Spitze des Zuges. Ein paar Flöten, drei Trommeln und Akkordeons, die im Marschrhythmus »God save Ireland!« spielten. Ich ging mit den anderen Fianna am Straßenrand. Wir hatten den Befehl, dieMenge zu schützen. Vor den Loyalisten aus Shankill, ein paar Straßen weiter, und vor den britischen Soldaten, falls sie
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