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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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an mir zerrte, der rechte von meiner Mutter, die mich festhielt. Zwei gleich blaue Flecken, mein Fleisch war von Feindschaft und Liebe markiert.
    Sie kamen mitten in der Nacht. Schleiften mich an Haaren und Hemdkragen die Treppe hinunter. Ich hatte angezogen geschlafen, weil ich sie schon erwartet hatte. Klein-Kevin weinte, Brian und Niall weinten, Baby Sara brüllte in ihrer Wiege. Ein Polizist haute mir mit dem Gewehrkolben aufs Auge. Und schlug auf Mama ein. Auf den Arm, ins Gesicht, damit sie mich losließ. Sie fiel hin, die Hände vor dem Mund. Mama auf dem Boden. Mein erster echter Racheschrei. Ein Schrei, der einen aufstehen und kämpfen lässt. Der im Bauch hämmert, wenn das Herz zaudert. Mama auf dem Boden. Ihre Lippen, mein Gesicht, ihr Speichel und mein Blut. Sie hatte sich ihren Rosenkranz abgerissen, streckte ihn mir mit beiden Händen entgegen und schrie zur Jungfrau, als sie mich mitnahmen. Zum ersten Mal rief ich den Hass zu Hilfe.
    Auf der Straße, das Gesicht zur Wand und mit erhobenen Händen, standen Danny und noch ein paar Männer. Von den Dächern flogen Dachziegel auf das Metall der Maschinengewehre. Sie zwangen uns, in einen Polizeiwagen zu steigen. Tritte, Fausthiebe, Wut. Polizisten schossen mit Gewehren auf die Fenster. Es waren »B-Specials«, die Schlimmsten von allen, die Mörder unseres Volkes.
    *
    Am späten Nachmittag kamen wir ins Crumlin Road Gaol. An Händen und Füßen gefesselt, gingen zehn Iren im Gänsemarsch durch die Flure.
    Danny und ich waren die Jüngsten.
    »Holen sich die Fianna ihren Nachwuchs jetzt schon aus dem Kindergarten?«, spottete ein Gefangener.
    Hier war Tom Williams’ Körper geschändet worden. Man hatte mir den Ort beschrieben. Grau-weiß gestrichene Backsteinmauern. Die Farbe krank, blasig, abgeblättert, fleckig von Fingern, Schuhsohlen, Feuchtigkeit. Der Boden rot gefliest. Laufgänge und Stege aus Metall, eiserne Wendeltreppen, Gewölbedecken, endlose schmale Flure. Unsere Zellen mit den schwarzen Türen. Das wusste ich alles schon. Aber diesen entsetzlichen Krach und Gestank hatte ich nicht erwartet. Geschrei, Protest, Befehle, menschliches Gebell. Hohe Metallgitter und Türen schlugen auf und zu, scharrten kreischend an Böden und Wänden, genagelte Sohlen hämmerten auf die Fliesen. Man hatte mir von der Einsamkeit in den Gefängnissen erzählt, aber nicht von diesem Höllenlärm. Ich warwie versteinert. Und dann roch alles nach kranken Menschen. Ihrem Schweiß, ihrem Atem, ihrem Dreck, ihrem Fraß, ihrer Scheiße, ihrer Pisse. Als ich in den B-Flügel kam, hielt ich mir die Nase zu und riss damit an den Ketten der anderen.
    »Riecht nach Irenschwein, was, kleiner Stinker?«, sagte ein Wärter.
    »Nicht antworten!«, befahl Danny, der hinter mir ging.
    »Riecht deine Mutter nicht auch so ähnlich zwischen den Beinen?«
    Ich schaute in den schmutzigen Schimmer, der durch die vergitterten Oberlichter drang.
    »Erinnert dich das nicht an deinen Schweinestall?«
    »Er ist noch ein Kind! Lass ihn in Ruhe!«, rief ein anderer Gefangener.
    Wortlos stürzten sich die Wärter auf ihn. Er fiel hin. Wir fielen alle hin. Sie schlugen und bespuckten uns. Wir versuchten uns zu schützen. Ich lag am Boden und trat mit den Füßen in die Luft. Ein Dutzend Wachleute kam angerannt, brüllend, mit erhobenen Schlagstöcken. Dann stellten sie sich in zwei Reihen an der Wand entlang auf und nahmen uns in die Mitte. Und prügelten auf uns ein, alle gemeinsam, alle gleichzeitig. Traten uns Arme und Beine zu Brei. Ich schrie vor Schmerz. Andere schrien vor Zorn. Unsichtbare Fäuste polterten gegen Zellentüren.
    »IRA! IRA! IRA!«
    Ich roch den Gefängnisgestank nicht mehr. Ich hörte den Krach nicht mehr. Ich hatte Blut im Mund, meine Ohren brannten, die Nase war zertrümmert. Der Krach war in mir. Ich musste an die Schläge meines Vaters denken. An meinen Kopf, der wie aus Stein war. An die brennenden Augen. Diespeichelbeschmierten Wangen, die ihm Tränen vorgaukeln sollten. Auf einmal ein Pfiff. Zwei Wärter kippten eine Schüssel eisiges Wasser über uns. Anfangs hatte ich vor Angst gefroren, jetzt war ich gefroren vor Schmerz. Wir lagen alle durcheinander im Gefangenentrakt, ein Haufen Fleisch und Seile. Die Wärter waren außer Atem. Sie sahen uns schweigend an, die Schlagstöcke gezückt. Ein Offizier kam dazu. Zündete sich eine Zigarette an.
    »Erst morgen in die Zelle. Heute Nacht bleiben sie hier«, befahl er und drehte sich weg.
    So lagen wir die ganze Nacht

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