Rückkehr nach Killybegs
Ihr Blut hatte eine andere Farbe als unseres. Es war Soldatenblut. Dicker, schwärzer, schmutziger. Mit dem Schuss auf Murphy hatten wir uns die Pulsadern geöffnet.
Danny schüttelte mich an den Schultern. Ich sollte ihm in die Augen sehen. Besser! Direkt in die Augen! Was ich darin sähe? Einen Irenmörder? Nein! Natürlich nicht! Ich müsse mich zusammenreißen und lernen. Noch einmal ganz von vorn. Das sei kein Krieg zwischen Protestanten und Katholiken! Wolfe Tone, der Vater des Republikanismus, sei Protestant gewesen. Was das für einen Unterschied mache? Ein Protestant könne auch in die IRA eintreten, ein Katholik sich als Soldat des Königs verkleiden. Und? Wer sei unser Feind? Der Protestant in der IRA oder der Katholik in der britischen Uniform? Gegen welchen von beiden müssten wir kämpfen? »Verstehst du das, Tyrone Meehan? Du kämpfst für die irische Republik, nicht für Rom! Deine Pfaffen hast du auf der anderen Seite der Grenze zurückgelassen. Also bring bitte nicht alles durcheinander!«
Ungefähr zwanzig Scouts befanden sich in dem Raum. Danny schaute alle der Reihe nach an, um zu sehen, ob jeder ihn richtig verstanden hätte.
»In der königlichen Polizei sind weniger Katholiken, als ichFinger an meiner Hand habe. Wer sich darauf einlässt, kennt die Gefahr. Murphy wird eine Warnung sein.«
Dann stellte er sich anders hin, breitbeinig, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Stimme im Befehlston.
» Na Fianna hÉireann , stillgestanden!«
Wir nahmen Haltung an, legten die Arme an den Körper und reckten das Kinn nach vorn.
» Na Fianna hÉireann , auf die Knie!«
Eine einzige Bewegung, ernst und würdig. Alle gemeinsam auf dem Beton.
Er kniete ebenfalls nieder. Schloss die Augen.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes …«
So beteten wir gemeinsam für die graue Seele des Patrick Murphy.
*
Die sechs IRA-Kämpfer wurden zum Tode verurteilt, doch nur an Thomas Williams wurde das Urteil vollstreckt. Er hatte vor den Richtern bekannt, dass er die Operation angeführt und die tödlichen Schüsse abgegeben habe. Obwohl er verletzt gewesen war, obwohl er wegen eines Asthmaanfalls gar keine Luft bekommen hatte und die Waffe ihm aus der Hand gefallen war, nahm er alles auf sich. Die irische Regierung bat um Milde. Der Vatikan hoffte vergeblich auf eine Geste der Barmherzigkeit. Am 2. September 1942 wurde Tom mit neunzehn Jahren im Hof des Crumlin-Road-Gefängnisses in Belfast gehängt. Und wie ein Hund verscharrt, zwischen Gefängnismauern, in Feindesland, ohne Kreuz, ohne Gedenkschild,ohne etwas, das an ihn erinnerte. Die Briten beraubten uns sogar seiner Leiche.
»Ich traf den Tapfersten der Tapferen. Er ging zum Schafott, ohne zu zittern. Gezittert hat nur sein Henker, Thomas Pierrepoint«, berichtete Father Alexis, der Gefängniskaplan, den in der Kapelle versammelten Gefangenen.
»Betet nicht für Tom Williams, betet lieber zu ihm. Denn Tom ist jetzt ein Heiliger im Paradies.«
So führte Tom uns an.
In der ganzen Stadt wurden Polizisten und Ulster Gards mit Backsteinen beworfen. Ein Polizeirevier wurde in Brand gesteckt. In Crossmaglen griffen dreißig óglachs der IRA die Kaserne der britischen Polizei und Armee an, um einen Offizier zu entführen und aufzuhängen. Die Operation scheiterte, aber ein Polizist wurde getötet. Zwei weitere starben in der Grafschaft Tyrone. Ein vierter wurde in Belfast bei der Verfolgung von Bombenlegern erschossen. Wir waren verloren, verrückt vor Zorn, im Rausch der Rachsucht. Ein erschütterter Journalist berichtete auf der Titelseite des »Belfast Telegraph« von zwei Republikanern, die amerikanische Soldaten mit dem Hitlergruß provoziert hätten.
Von Father Alexis wussten wir auch, dass Tom auf dem Weg zum Tod »God save Ireland!« gepfiffen hatte. Unsere alte Nationalhymne! Die wir in der Familie sangen, in den Pubs, auf Demonstrationen, in den Stadien. Die wir summten, wenn wir britischen Patrouillen begegneten.
Die wir, mit Steinen in den Händen, brüllten, bis uns die Luft ausging.
»God save Ireland!« said the heroes!
»God save Ireland!« said they all.
Whether on the scaffold high
Or the battlefield we die,
Oh, what matter when for Erin dear we fall!
*
Im Oktober 1942 wurde mein Bruder Séanna verhaftet. Es gab keine Anklage, keinen Prozess, kein Urteil. Sie sperrten die Aufsässigen einfach weg. Am 3. Januar 1943 waren Danny Finley und ich dran. Meine Arme taten mir eine Woche lang weh – der linke von dem Polizisten, der
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