Rückkehr nach Killybegs
mehr, verstehst du? Nichts! Ein Verräter! Seit sechsundzwanzig Jahren! Du hast es gestanden, sechsundzwanzig Jahre! Ein Verräter, der mich im Gefängnis besucht hat! Erinnerst du dich, als ich rauskam? Erinnerst du dich daran? Ich saß neben dir im Auto, und du hast gesagt, du bist stolz auf mich. Erinnerst du dich? Stolz auf mich!«
Ich setzte mich wieder an den Tisch meines Vaters.
»Stolz auf mich? Ich habe zwanzig Jahre in den Gefängnissen deiner britischen Freunde verbracht! Zwanzig Jahre, verdammt! Und du bist stolz auf mich?«
»Möchtest du noch einen Schluck Tee?«
»Du hast Mama verraten, du hast Irland verraten, du hast alles verraten, was um uns herum atmet. Du hast mich verraten. Du hast nicht einmal das Recht, hier zu leben!«
Ich sah ihn an. Ein echter Meehan. Fast hätte ich gelächelt, so satt hatte ich das alles. Aber er war alles, was ich noch hatte.
»Und du kannst mir noch ins Gesicht sehen? Ja? Wie machst du das?«
»Ich sehe meinen Sohn an.«
»Ich verbiete es dir. Nimm dieses Wort nie wieder in den Mund. Nie wieder!«
*
Als Kind liebte Jack Killybegs. Holte Wasser vom Brunnen, träumte vor den Kerzen, formte im Licht der Sturmlampegeheimnisvolle Schattenwesen und lächelte am Hafen den Schiffen zu. Stundenlang konnte er über die kahlen Hügel streifen, die endlosen Steinmauern entlang, durch den roten Farn, der ihm bis zur Hüfte ging. Er liebte die kleinen Inseln, winzige Tupfen auf dem Meer, soweit das Auge reicht. Sheila wollte nach drei Tagen heim, doch Jack hat immer darum gebettelt, noch bleiben zu dürfen. Für ihn war das Cottage ein Trapperheim, ein Indianerzelt, ein Haus aus der Zeit vor dem Hunger, als man noch nicht die dampfenden Kartoffeln in der Schüssel zählte. Selbst als er Fianna geworden war, blieb er ein Kind. In Belfast roch er nach Benzin, die Hände von Backsteinen aufgeschürft, die Stirn zornzerfurcht. Ich sah Tom Williams aus seinen Augen blitzen und hatte Angst um ihn. Aber in Killybegs schulterte er die Angel, jagte den Maulesel und schlug,wenn er über die Heide heimwärts ging,mit einem Eichenstock auf das Gestrüpp ein, um die bösen Feen zu vertreiben.
1979 hat Jack zusammen mit Dave »Snoopy« Barret in der Castle Street einen Polizisten getötet. Jack fuhr das Motorrad, Snoopy schoss drei Mal auf die Uniformierten, die die Straße versperrten. Weiter oben, in Glen Road, standen die Panzerwagen der Armee. Jack beschloss, nach links in eine kleine Straße zu flüchten. Ein republikanisches Taxi war dicht hinter ihnen. Snoopy streckte die Hand aus, um den Fahrer zu warnen, dass sie abbiegen wollten, die Pistole in seiner Faust hatte er vergessen. Die Soldaten nahmen die Verfolgung auf. Das Motorrad streifte den Kantstein. Sie ergaben sich kampflos. Warteten, das Gesicht auf dem Boden, die Hände im Nacken. Als sie verhaftet wurden, hatte sich der Tod desPolizisten noch nicht herumgesprochen. Ein Dutzend Leute kam aus den Backsteinhäusern. Snoopy rief ihnen seinen Namen zu. Jack schrie: »Meehan! Dholpur Lane!« Die Briten schossen nicht. Sie ließen sie am Leben. Und mussten sie vor Gericht bringen. Denn Dutzende Nationalisten wussten, dass Dave Barret und Jack Meehan an diesem Tag, in dieser Straße von Glen Road von der Armee verhaftet worden waren. Und lebend in die Panzerfahrzeuge gestiegen waren. Die Briten schossen, um zu töten. Ein paar aus unserem Lager waren darüber entsetzt. Ich nicht. Ich hatte meinen Feind noch nie als zivilisiert empfunden. Ich versuchte sie zu töten, sie wollten mich umbringen. So ist das im Krieg.
Mein Sohn wurde zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. Einundzwanzig Jahre Knast. Im Juli 2000 wurde er mit den letzten republikanischen Gefangenen entlassen. Und kam trauriger heraus, als er hineingegangen war.
»Wo ist unsere Fahne?«
Das war sein erster Satz. Auf dem Heimweg von Long Kesh. Sheila saß hinten, er neben mir. Über die Lehne hinweg hielt sie seine Hand. Wir schwiegen. Irland hieß meinen Sohn willkommen. Klarer Himmel, Wüstensonne und eine leichte Brise. Jack hatte die Stirn an die Scheibe gelehnt. Er musste die zwanzig Jahre hinter Stacheldraht erst verwinden. Und plötzlich am Straßenrand, in einem maschendrahtumzäunten Hof im Schatten einer Schule, die britische Fahne. Groß, neu, strahlend.
»Wo ist unsere Fahne?«, fragte Jack.
Er suchte den Blick seiner Mutter im Rückspiegel.
»Dafür das alles?«
Sheila murmelte etwas von Friedensprozess, Verhandlungen, Kompromissen. Bald würde
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