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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Haltung an, als ich vorbeiging, und hoben die Hand an die Schläfe, um mir Respekt zu bezeugen. Ein junges Mädchen gab mir den Kuss der Überlebenden. Ein anderes überreichte mir einen Strauß Märzenbecher. Eine Kindergruppe auf dem Bürgersteig verfiel in den Gleichschritt der Fianna. Keine Briten zu sehen. Sie waren mit ihren blätterbedeckten Töpfen auf dem Kopf hinter den Verhauen in den angrenzenden Straßen postiert.
    Erst hatte ich mich geweigert, das Wort zu ergreifen, dann tat ich es doch.
    Als ich zum Mikrofon ging, bekam ich Applaus. Lange, wie eine Danksagung. Ich hatte Danny getötet. Ich zitterte.Seit diesem Tag habe ich nie wieder aufgehört zu zittern. Die Menge dicht gedrängt, andächtig. Ich näherte meine Lippen dem Mikrofon.
    Hunderte Blicke. Dannys Frau in der ersten Reihe. Sheila. Jim. Die anderen.
    »Danny Finley ist nicht tot!«
    Applaus.
    »Danny Finley ist nicht tot, weil ihr am Leben seid!«
    Ich sah die ersten Tränen.
    »Danny Finley ist nicht tot, weil Montag früh in der Clonard Street Mary Mulgreevy geboren wurde. Weil Dienstag in der Crocus Street Declan Curran geboren wurde. Und weil erst heute Morgen in Dunville Siobhan McDevitt geboren wurde.«
    Ein Schauer ging durch die Menge. Frauen mit gefalteten Händen. In der ersten Reihe der Offizier, der mich besucht hatte, mit umflorten Augen.
    »Danny Finley ist nicht tot. Er heißt Mary, Declan, Siobhan!«
    Unsere Fahnen am Fuß der Tribüne. Strahlende Gesichter.
    Ich habe Danny Finley getötet.
    »Das Leben dieser Kinder ist unsere Rache!«
    *
    Eine Frau in Rot stand auf. Sie wartete, bis Ruhe eingekehrt war. Auf jedem Tisch Dutzende Flaschen und leere Pints. Ich schaute mich um. Ich kannte sie alle. Jim O’Leary, den Sprengmeister, der an meinem Bett gewacht hatte, und Kathy,seine Frau. Pete Bradley, »den Killer«, die Brüder Sheridan. Jedes Mal, wenn mein Blick einem anderen begegnete, wurde ein Glas auf mich erhoben. Mike O’Doyle, Eugene, das Bärchen, vom Knast gezeichnete Gesichter. Rein ins Gefängnis und wieder raus. In Wartestellung zwischen Leben und Tod.
    Die Frau in Rot führte das Mikro zum Mund.
    »A brave son of Ireland was shot on Dholpur Street tonight …«
    Die Gläser wurden auf die Tische zurückgestellt. Von den ersten Tönen an herrschte Stille im Pub. Nur diese Stimme, von einem Dutzend anderer begleitet. Wie wenn eine Menschenmenge losmarschiert. Die Frau immer noch mir zugewandt. So wie alle anderen Blicke auch. Für mich, Tyrone Meehan, sangen die Stammgäste des »Thomas Ashe« »Die Ballade von Danny Finley«, der auf den Tag genau vor einem Jahr gestorben war. Das Lied war eine Woche nach seinem Tod entstanden, von republikanischen Zeitungen abgedruckt worden und dann vom ganzen Land einstimmig übernommen. Freunde hatten es schon in einem Londoner Pub gehört und in einer irischen Bar in Chicago, wo Amerikaner ihr Exil beklagten und besangen. Also summte ich mit.
    Beim Refrain erhob sich der ganze Saal.
    »Slán go fóill mo chara …« – Adieu, mein Freund …
    Ich hatte meinen Stuhl zurückgeschoben. Stand mitten im Saal, die Arme mit geballten Fäusten an den Körper gelegt. Danny Finley war unter die toten Helden Pearse, Connolly, Thomas Dunbar, Tom Williams eingegangen. Er hatte sie oft besungen, und nun besangen wir ihn. Ich spürte Sheilas Hand auf meinem Arm. Jack, gerade neun geworden, standbei mir. Sah mich an, dann auf die Menge. Dieses Bild seines Stolzes werde ich mein Leben lang nicht vergessen.
    Ich gebot dem Applaus mit der Hand Einhalt. Setzte mich hin. Vor mir noch viele Biere. Das Guinness meines Vaters schmeckte nach Unglück. Seit einem Jahr war ich wie tot. Mein Name war zu bekannt, als dass ich wieder zu den Waffen hätte greifen können. Ich war in den Hintergrund getreten, zwar nur vorübergehend, aber notwendigerweise. Tagsüber wurden vor mir die Mützen gezogen, es gab Lächeln oder warme Worte. Nachts sah Danny mich an. Ein Jahr lang hatte ich durchgehalten. Jetzt würde ich mein ganzes Leben lang durchhalten. Zum Reden war es zu spät. Wem sollte ich es auch gestehen? Father Donovan? Der IRA? Sheila? Jim? Meinem Sohn, der durch mich lebte? Wem denn? Und wozu? Für den Frieden meiner Seele? Meines Herzens? Meines Magens? Ich hatte Danny getötet und es verschwiegen. Ich hatte seinen Sarg getragen, seinen Namen gewürdigt, nach Rache geschrien. Es war zu spät, den Nebel in der Dholpur Lane zu lichten. Ich war voller Schmerz, voller Scham und allein.
    Um Mitternacht

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