Rückkehr nach Killybegs
Lumpen Mensch, vergraben in der Matratze.
»Jack?«
Ich erkannte meine Stimme nicht wieder. Sie klang wie eine knarrende Tür.
Ich fürchtete, dass er es war, und hoffte es. Er war es nicht. Es war ein anderer Sohn. Er wandte den Kopf, erhob sich langsam aus seiner Zellenecke. Er war sehr jung, zart oder mager, mehr grau als blass, mit wirrem Bart und Haaren bis zu den Schultern. Wortlos nahm er die gefalteten Decken, die auf der freien Matratze lagen, legte sie mir um die Schultern und setzte sich neben mich. Meine Wachsamkeit ließ nach. Ich weiß nicht, wieso. Vielleicht wegen dieser Geste. Dieser rauen Sanftheit, dieses aufmerksamen Schweigens. Vielleicht wegen seines Blick, der den meinen traf. Mein Atem ging stoßweise. Es lief warm aus mir heraus. Ich ließ es laufen. Die laue leuchtende Pfütze unter mir wurde größer. Er wich nicht zurück. Die Pisse erreichte seinen nackten Fuß, umschloss ihn und setzte ihren Weg bis unter das Bett fort.
Er gab mir die Hand.
»Aidan Phelan, West-Tyrone-Brigade.«
»Tyrone Meehan, Belfast-Brigade.«
Er lächelte.
»Der Freund von Danny Finley, ich weiß. Es ist mir eine Ehre.«
Dann zündete er sich eine Zigarette an, die er aus Tabak und einem Seitenrand seiner Bibel gerollt hatte.
»Die Jungs sagen, Matthäus brennt besser, aber mir sind die Apostelbriefe lieber.«
Er nahm einen beißenden Zug und reichte sie mir.
»Petrus, Paulus, alles dasselbe …«
Wir rauchten schweigend.
Ich betrachtete den dunklen Raum. Verdorbenes Essen war in schleimigen Haufen an der Wand entlang verteilt. Rundherum Abfall, Fäulnis, Verwesung. Und Scheiße, verschmiert bis zur Decke. Spuren von Fingern. Ein Kruzifix an dem zerbrochenen Lichtschalter. Mich schauderte.
Die Wärter, die mich in die Zelle brachten, trugen Masken. Die Luft war dick wie in einem Abwasserkanal. Ich wusste nicht, dass ein Geruch einem die Kehle zukleistern kann. Als es Nacht wurde, hatte ich mich fast an den Gestank gewöhnt, an meine klebrigen Beine, die Kälte, die Dunkelheit und unser aller Scheiße.
»Is cimí polaitiúla muid!«
Eine ferne Stimme. Ein Schrei aus einer Zelle. Meine Sprache.
»Wir sind politische Gefangene!«, antwortete Aidan und humpelte zur Tür.
»Táimid ag cimi polaitiúla!« , schrie ich.
Bis dahin hatte ich keine Menschenseele gesehen. Nur den hasserfüllten Blick der Wärter. Und jetzt dieser Ruf meiner Kameraden, meiner Freunde, meiner Brüder im Kampf. Ein Dutzend rauer Stimmen in ihrer Wut, ihrem Zorn, ihrer Schönheit. Ein wunderbarer Tumult. Gebrüll und nackte Fäuste, die an die Türen hämmerten. Ich lauschte nach der Stimme meines Sohnes inmitten all der Geschlagenen. Und wollte sie doch nicht hören.
»Tiocfaidh ar là!« , erhob sich die Stimme des ersten Gefangenen wieder über das Getöse.
»Tiocfaidh ar là!« , antworteten die anderen.
»Unser Tag wird kommen!«
»Das war dein erstes Abendgebet«, lächelte mein Gefährte.
Dann verstummte alles.
*
Nachts weinte Aidan manchmal. Schluchzte wie ein Kind und zog sich die Decke über den Kopf. Eines Morgens betrachtete ich ihn. Er schlief mit offenem Mund, auf dem Bauch, eine Wange eingequetscht. Sein Arm hing auf den Boden. Maden ringelten sich in seinen Haaren und auf seinem Handrücken.
Nach dreizehn Monaten sah ich aus wie er. Die Haare hingen mir in fettigen Büscheln über Ohren und Nase. Mein Bart wuchs wild. Das Gesicht des einen erzählte vom Gesicht des anderen. Wie abgemagert ich war, sah ich an seinen abgespannten Zügen, seiner grauen Haut, seinen schwarz umrandeten Augen.
Er veranstaltete Schabenrennen in seiner Zellenecke. Ich ließ ihn die zweiunddreißig irischen Grafschaften aufsagen.
»Meath … Mayo … Roscommon … Offaly …«
Er lernte ein paar Worte Gälisch von mir. Unverzichtbar im Gefängnis.
»Póg mo thóin!« – »Küss mir den Arsch!« – war sein Lieblingskriegsruf. Den murmelte er jedes Mal, wenn ein Wärter die Tür öffnete.
Wir hatten beschlossen, gemeinsam zu scheißen, um aus der Privatangelegenheit eine Zeremonie zu machen, aus der Erniedrigung ein gemeinsames Ritual. Er hockte sich linksneben die Tür, ich machte in meine Hände. Dann schmierten wir unsere Exkremente mit vollen Fingern in großen warmen Kreisen an die Wände. Anfangs musste ich kotzen. Von dem gemeinen Anblick und dem überwältigenden Gestank. Allmählich aber lernte ich, meinen Ekel in Zorn zu verwandeln. Verteilte frische auf schon getrockneten Schichten menschlichen Bewurfs, ohne mich
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