Rückkehr nach Killybegs
kamen Franck Devlin und seine Frau auf mich zu, um mir die Hand zu drücken. Er, den alle nur Mickey nannten, reichte mir lächelnd einen Stift.
»Danke, Mickey, nicht heute Abend.«
»Brauchst du ihn wirklich nicht? Hast du deinen dabei?«
Seit 1942 ging das so. Wenn wir uns über den Weg liefen, zwinkerte er mir zu und gab mir seinen Stift. Niemand verstand diese legendär gewordene Geste. Mickey hatte mich vor achtundzwanzig Jahren überführt und nutzte es immer nochaus. Das war nicht böse gemeint, bloß eine kindliche Neckerei. Ich wurde rot. Er legte mir die Hand auf die Schulter.
»Ein weiter Weg, nicht wahr?«, sagte er und ging an seinen Tisch zurück.
Ich hob mein Glas zu seinem Gruß.
Es war im Crumlin, am Tag nach meiner Ankunft. Das erste Mal im Knast. Bevor sie mich wegschlossen, bat ich darum, auf die Toilette gehen zu dürfen. Irgendetwas muss mich geritten haben. Ich hatte noch einen Bleistiftstummel in meiner Socke, ein bisschen Grafitstaub in einem Splitter Holz. Ich fühlte mich wie draußen, hinter der Tür eines Pissoirs in einem Pub. Und schrieb in schönen Buchstaben »IRA« an die schmutzig graue Wand. Dann kam ich in die Zelle.
Am nächsten Tag redete die ganze Abteilung über nichts anderes. Es gab ein großes Gelächter. Aber wer war’s? Wer hatte sich da zur IRA bekannt, wo doch alle nur deswegen hier waren? Wer hatte sich in einer Dubliner Pissbude gewähnt? Wer machte da auf oberschlau, um nachkommende Blasen zu verschrecken?
Mickey war für die Wäsche verantwortlich. Er fand den Stift, den ich im Umschlag meiner Hose vergessen hatte. Er musste es mir versprechen. Und versprach es. Tyrone Meehan aber sollte für ihn stets der Junge bleiben, der sich an einer Klowand im Crumlin Road Gaol zur IRA bekannt hatte, weil er als Einziger nicht der Geheimarmee angehörte. Mickey wachte über meine Jugend.
An diesem Abend in meinem Club fühlte ich mich zu Hause. Nicht bei mir, sondern bei ihnen zu Hause, das erste Mal. Eingebrochen in die Schönheit der Tapferen.
»Wir gehen, Tyrone. Ziehst du die Jacke an?«
Sheila stand vor mir. Jack war am Tisch eingeschlafen, den Kopf auf den Armen.
Das »Thomas Ashe« leerte sich allmählich.
»Bye, Tyrone!«
»Gott schütze dich, Meehan!«
Stühle wurden aufeinandergestapelt, Tische über den Boden geschleift, Gläser ineinandergestellt, der eiserne Rollladen der Bar rasselte herunter. Ein Rumoren von Trunkenheit, Lachen, Bier, zu lauten Stimmen. Ich zog meine Jacke an. Setzte die Mütze auf. Schwankte durch den Saal. An der Wand ein gerahmtes Porträt von Danny mit Trauerflor. Ich blieb davor stehen. Das aufflammende Neonlicht knallte auf seine Augen und seine Stirn.
Lieut. Daniel »Danny« Finley
1924–1969
2nd Bat C. Company
Óglaigh na hÉireann
Er schaute geradeaus. Sah mich aber nicht an. Er hatte beschlossen, mich in Frieden zu lassen. Ich spürte Jacks Hand in meiner. Wir gingen in die Nacht hinaus. Es roch nach Regen. Ich schlug den Jackenkragen hoch, betrachtete die Straße, die niedrigen Häuser, die schwarzen Fenster, die schwerfällig torkelnden Schatten, von denen der Rausch langsam wich. Ich ließ Jacks Hand los. Erhob die Faust. Und brüllte:
»Éirinn go Brách!«
»Éirinn go Brách!« , wiederholte mein Sohn.
Ich stieß einen lang gezogenen Schrei aus. Eine ungeheure Klage. Den Schrei von George, das Weinen des Esels.
11
Killybegs, Donnerstag,
28. Dezember 2006
Jack ist umsonst gekommen. Er hatte es seiner Mutter versprochen und es deshalb gemacht, Punkt. Eiseskälte zwischen uns. Ich war nicht mehr sein Vater, er war nicht mehr mein Sohn – zwei Fremde in einem Zimmer.
»Wie geht es dir?«
Er blickte von seinem Steingutkrug auf, den er mit beiden Händen hielt, um sich zu wärmen. Schaute mich an. Trank den letzten Schluck Tee.
»Sprichst du mit mir?«
Ich stand auf. Das Feuer erstarb, es wurde noch kälter.
»Du sprichst mit Jack Meehan, ja?«
Ich wandte ihm den Rücken zu, stocherte in der Glut.
»Ich spreche mit meinem Sohn«, sagte ich leise.
»Mit deinem Sohn? Willst du damit sagen, ich habe einen Vater?«
»Ja, du hast einen Vater.«
Ich legte ein feuchtes Scheit auf die Flammen.
»Zwanzig Jahre lang hatte ich einen Vater, aber der ist gestorben«, brüllte er.
»Nein. Er steht vor dir und schürt das Feuer.«
Jack stieß seinen Stuhl zurück, sodass er umfiel. Fegte denBecher mit dem Ellbogen vom Tisch. Scherbenklirren. Stand aufrecht da.
»Hör auf damit! Für mich bist du nichts
Weitere Kostenlose Bücher