Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
Vom Netzwerk:
seinen Vater, ganz Irland, das ich ihm geschenkt hatte. Er hatte die Arme ausgebreitet. Stolperte blindlings rückwärts. Mein Kind, mein Sohn, mein kleiner Soldat. Er weinte. Sein Mund klaffte in einer Maske des Schmerzes. Er floh. Er rettete sich vor mir. Seine Schritte knackten auf dem Holz, dem Stein, der gefrorenen Erde. Ich hatte eine Hand an die eisige Wand gestützt, ich konnte nichts mehr tun. Weder für ihn noch für mich. Ich war nicht einmal mehr Verräter. Ich war tot. Er auch. Wir alle. Wie alle Kommenden. Ich erwartete nichts mehr. Und ich wusste auch nicht mehr, wo unsere Fahne war.

12
    Am 20. Oktober 1979 wurde ich zu fünfzehn Monaten Gefängnis verurteilt. Ein Schnüffler aus dem Viertel hatte mich denunziert. Aus Sicherheitsgründen machte der Kerl seine Aussage vor Gericht hinter einem Vorhang versteckt. Seine Stimme gegen mich.
    »Meehan hat den Jungen geschlagen und gesagt, dass die IRA Dealer bestraft. Und wenn er noch mal mit Dope ins Ghetto kommt, schießt er ihm ins Knie …«
    Ich schloss die Augen. Ich kannte diese furchtsame Art zu sprechen. Paddy Toomey vielleicht, der von unseren Jungs dafür bestraft worden war, dass er, als er aus dem Pub kam, seine Frau windelweich geprügelt hatte. Oder Liam Moynihan, den wir nach einer versuchten Vergewaltigung gezwungen hatten, das Viertel zu verlassen. Ich beugte mich etwas nach vorn, um es herauszufinden. Eine Tweedschulter, der Schatten eines Arms hinter dem Vorhang …
    »Gerade sitzen, Meehan.«
    Ich machte eine unbestimmte Bewegung. Einer nach dem anderen wurden wir vor diese diplock courts geladen. Nur ein Richter, keine Geschworenen, verborgene Zeugen. Sie wollten mich einsperren, weil ich einen Dealer bedroht hatte? Die Briten lagen ganz schön daneben. Unsere Armee warauferstanden, in geschlossenen Einheiten organisiert. Ich lächelte den Richter an. Er wich meinem Blick aus. Nachdem ich für das Zweite Bataillon und dann für die Belfast- Brigade verantwortlich gewesen war, gehörte ich nun zum Führungsstab der IRA. Der kleine Mann in Schwarz wusste gar nicht, über wen er da richtete. Fünfzehn Monate? Ein Geschenk. Und doch ein Horror.
    *
    Seit dem 1. März 1976 hatten Republikaner und Loyalisten ihren Status als Kriegsgefangene verloren. Durch die Macht der Sondergesetze waren wir über Nacht zu Verbrechern geworden. Und mussten die Gefängniskleidung der gewöhnlichen Sträflinge tragen. Als Kieran Nugen, neunzehn, am 14. September 1976 nach Long Kesh kam, beharrte er darauf, in seiner Zelle nackt zu bleiben. Wickelte sich in seine Bettdecke ein. Er war der Erste. Ein Zweiter folgte ihm, dann ein Dritter. Franck »Mickey« Devlin, der Mann mit dem Stift, war der Neunte …
    Sie wurden jedes Mal geschlagen, wenn sie duschen gingen. Also zerschlugen sie im März 1978 ihre Möbel und weigerten sich, ihre Zellen zu verlassen. Zur Strafe räumten die Wachen alles aus und ließen nur noch die Matratzen auf dem Boden übrig.
    Ein paar Tage später leerten sie auch die Aborteimer nicht mehr. Als diese überliefen, beschlossen die republikanischen Soldaten, auf den Boden zu pissen und in die Hände zu scheißen und die Exkremente an den Wänden zu verschmieren.Als ich am Donnerstag, den 1. November 1979, in Block H4 kam, lebten die Kameraden schon seit drei Jahren nackt in ihren Decken und in ihrer Scheiße.
    *
    Ich hatte seit Langem nicht mehr gezittert. Ich zog mich vor den fünf Wärtern aus und würdigte sie keines Worts, keines Blicks. Ich dachte an Jack, meinen Jungen, der fünf Monate vor mir diesen Raum betreten hatte. Auf dem Boden lag ein Spiegel. Ohne dass sie etwas sagten, hockte ich mich darüber und weitete meinen Anus mit den Fingern. Ich war vierundfünfzig Jahre alt. Die Aufseher waren jünger als ich. Einer von ihnen hielt mir die ordentlich gefaltete türkisblaue Gefängniskleidung mit den gelben Borten hin. Ich blickte dem Jungen in die Augen und spuckte auf den Stoff.
    Das gefiel den Wärtern nicht. Also setzte es Prügel. Dann stießen sie mich mit einem Fußtritt in die Zelle. Ich schlug mit Stirn und Jochbein auf den Boden. Lag nackt auf dem Bauch, setzte mich mühsam auf. Ein Daumen verstaucht, zwei Rippen angebrochen. Ich blutete aus Mund und Nase. Etwas rann heiß in meinen Nacken. Mein Kopf war angeschlagen. Ich fühlte mit der Hand nach. Eine Delle. Mir fehlte ein Stück Haut. Mein linkes Bein fing an zu zittern. Ich umschlang meinen Oberkörper. Es war kalt. Ich schaute mich in der Zelle um. In einer Ecke ein

Weitere Kostenlose Bücher