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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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Versprochen. Sie hätten Killybegs verlassen, seien aus der Sandy Street und der Dholpur Lane vertrieben worden, aber in Drogheda wäre ihr Kreuzweg zu Ende. Als Sheila fragte, ob sie nach Belfast zurückkommen wollten, wenn sich alles beruhigt hätte, bekreuzigte sich meine Mutter und sagte, erst wenn Christus dort als König in seiner Herrlichkeit Einzug halte.
    So kehrte Sheila allein zurück.
    Überall in den Städten kam es zu Aufständen. Zum ersten Mal seit dem Krieg schickte London die britische Armee nach Nordirland. Nicht die Polizei, nicht die »B-Specials«, keine nordirischen Hilfstruppen, sondern echte Briten. Das königliche Regiment von Wales habe in der Falls Road Position bezogen, erklärte mir meine Gastgeberin. Die Bewohner des Viertels böten den Soldaten Tee und Kekse an.Ich schaute auf.
    »Tee und Kekse?«
    Sie lächelte.
    »Sie haben nichts mit den Mördern zu tun«, sagte sie, währendsie meine Decken richtete. Im Gegenteil, sie hätten das Schlimmste verhindert. Ohne sie hätten die Loyalisten uns alle vertrieben und umgebracht.
    Mein Mund war trocken, meine Kehle wie Pappe.
    »Und Danny?«, fragte ich.
    Die Frau sah mich mit einem hinreißenden Blick voll Stolz und Mitgefühl an.
    »Er wird Mittwoch begraben.«
    Sie setzte sich auf die Bettkante. Und lächelte traurig.
    »Bombay Street gibt es nicht mehr. Alles abgebrannt. Dass unsere Straße noch steht, verdanken wir ihm und dir.«
    Die Tür ging auf. Zwei Männer standen davor. Den größeren kannte ich, ein Offizier unseres Führungsstabs. Jim salutierte.
    »Lass uns allein, Lise. Du auch, O’Leary.«
    Er wartete, bis die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte. Mein Magen fühlte sich an wie Blei. Mir fehlte der Wind vom Meer. Ich dachte an Tom und sein Asthma. Der Offizier setzte sich auf mein Bett. Ich blickte ihn an. Er sah mir forschend in die Augen. Holte tief Luft.
    »Ich weiß, wie du dich fühlst, Tyrone.«
    Ich antwortete nicht. Ließ das Schweigen an meine Stelle treten.
    »Wenn einer von uns fällt, dann fragt sich der an seiner Seite immer, warum er noch lebt.«
    Er blickte sich in dem kleinen Zimmer um. Die getrockneten Palmzweige hinter dem Kruzifix, das Bild einer weißen Katze in einem Wollkörbchen.
    »Der Tod kennt keine Gerechtigkeit, Tyrone. Danny ist gefallen, genauso hätte es dich treffen können.«
    Er sah mich an. Legte seine Hand auf meine.
    »Dann würde er sich jetzt dieselben Fragen stellen.«
    Langsam stand er auf. Ging zum Fenster, hob den Vorhang mit einem Finger an. Wandte mir den Rücken zu.
    »Weißt du, was am 14. August 1969 in der Dholpur Lane passiert ist?«
    Ich habe Danny Finley mit zwei Schüssen in den Rücken getötet.
    »Nein? In dieser Nacht hat die IRA gezeigt, dass sie fähig ist, ein Viertel zu verteidigen. Dass mit unserem Widerstand zu rechnen ist.«
    Ich habe Danny getötet. Ich war’s. Ich musste husten, konnte nichts mehr sehen. Ich habe geschossen. Mein Kopf schmerzte. Meine Augen gestanden. Aber mein Besucher hörte nur seine eigene Stimme.
    »Lebe mit seinem Mut, nicht mit seinem Tod.«
    Sei still. Geh und nimm den anderen mit. Verlasst diesen Raum.
    »Dein Kampf wird deine Rache sein, Tyrone.«
    Er reichte mir die Hand. Er wusste es nicht. Niemand wusste es. In der Dunkelheit, dem Rauch und dem Chaos waren Danny und ich allein gewesen. Niemand sonst hatte seinen Blick gesehen, als er starb. Ich sog die Luft des Zimmers in mich ein, die Luft von der Straße, vom Viertel, von meinem ganzen Land mitsamt dem salzigen Sprühregen am Kai von Killybegs. Er verabschiedete sich mit einer eleganten Handbewegung. Herzlich und brüderlich. Etwas erklärte mich für lebendig. Er würde es nie erfahren. Er nicht und auch der andere nicht, der jetzt ebenfalls die Hand zum Gruß hob.
    »Du hast unser Viertel gerettet, Tyrone.«
    »Ist Danny ein Märtyrer?«
    Was fiel mir ein? Warum fragte ich das? Die Worte waren zu schnell aus mir herausgepurzelt. Mir blieb der Mund offen.
    »Ein Märtyrer für die Freiheit Irlands, ja.«
    Der Offizier sah mich ruhig an, während der andere hinausging.
    »Und du bist ein Held.«
    *
    Erst hatte ich mich geweigert. Ich wollte nur in der Menge mitgehen, als einer unter vielen. Den Sarg tragen. Nichts weiter. Während der Prozession kamen Männer aus der Einheit auf mich zu. Legten mir die Hand auf die Schulter.
    »Das ist er! Tyrone Meehan!« Wie ein Gebet.
    Gemurmel auf den Bürgersteigen. Bewegte Blicke. Dankbarkeitsgesten. Zwei alte Nationalisten nahmen

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